der kleine Automat

Der 14.Januar 2009 war ein besonderer Tag: bei der Deutschen Bahn ging nichts mehr. Also noch weniger als sonst. Und das war so:

9.00 Sprockhövel
Eine Schar von 20 Rentnern auf einem Tagesausflug betritt den Bahnhof. Zielstrebig entscheiden Sie sich für einen der zahlreichen zwei Bahnautomaten.

Es dauert nur 20 Minuten bis die personellen Daten der Gruppe eingegeben sind: 17 Mitglieder über 65, 3 mit Behindertenausweis, davon 1 abgelaufen und 1 gefälscht. Ein Rentnerehepaar bringt die 5jährige Enkelin mit, ein Alleinreisender Rentner seinen 15jährigen Lustknaben. Es sind 8 Frauen und 11 Männer. Bei einem/einer Mitreisenden kann man das nicht mehr so genau feststellen. Unter den Reisenden befinden sich 2 ehemalige Bahner, davon ein Bahnbeamter und ein Bahnunbeamter. Vorletzterer gibt übrigens die Daten ein.

Der Bahnautomat fängt an zu rechnen. Au weia. Dieser Tag geht ja schon mal gut los. Da hat man sich auf einen gemütlichen Vormittag eingerichtet, und dann das. So was war ja noch nie da. Ein Rentner, der mit der Benutzeroberfläche zurecht kommt und alles eingeben kann. Der Automat funkt erst mal an seine Kollegen. „Boah, habt ihr so was schon mal erlebt?“ Kollegen zurück: „Nö, aber erzähl mal weiter.“  Der kleine Automat antwortete mit einer Frage: „Gruppentarif… wie ging denn das noch mal?“ Die Automaten kamen ins Gespräch. Jeder hatte so eine kleine Anekdote zum Thema Rentner, Gruppentarif….

Das interessante dabei ist, dass die ganze Automatendiskussion gleich nach Berlin weitergegeben wird. Seit der Bundestrojaner aus Versehen auch auf Bahnautomaten installiert wurde, ist der Herr aus dem Wahlkreis Offenburg mit seinen Jungs immer informiert. Der Computer aus dem Ministerium für Bundesinneres merkt auch sofort an: „so eine Kombination aus Mitreisenden ist höchst ungewöhnlich. Brauchen mehr Daten. Beobachten.“

Beobachten bedeutet in diesem Fall für den Automaten – ja was eigentlich. Der Automat stellt sich dumm und zeigt den außerordentlich schönen, aber auch irgendwie uninteressanten Wartebalken. Minutenlang. Währenddessen überlegt er sich, wie er Leute beobachten soll. Kameras wären schon schön.

Den 69jährigen Rüdiger F., Bediener des Automaten und pensionierter Bahnmitarbeiter, überkommt eine plötzliche reaktionäre Regung, die in 45 Jahren Beamtentum nie in ihm aufgestiegen war. Er tritt gegen den Automaten. Das hätte er nicht tun sollen. Das muss man jetzt erklären. In modernen Automaten gehen die Hersteller immer mehr dazu über, eine Tritterkennung anzubringen. Einerseits wird mit Hilfe des genetischen Fußabdrucks dann gleich eine Schadensersatzklage gegen den Treter angestrengt, andererseits wird zur Vermeidung von Schäden am Automaten die Berechnung mit einer höheren Priorität durchgeführt. Im Fall unseres kleinen Bahnautomaten werden alle Daten ins Rechenzentrum weitergeleitet, dass zufällig auch in Berlin steht. (Bahnautomat:)“Nee, kann ich jetzt nix mehr machen, das geht jetzt an den Chef.“ Durch die ungeahnte Komplexität des eingegebenen und des bisher berechneten kommt es zu einer momentanen Überbelastung des Bahneigenen Computernetzes, die allerdings noch nicht zu der Katastrophe führt.

Komplizierte Berechnung. Und mit höchster Prio. Das Rechenzentrum rechnet und rechnet. Da werden alle Rechner mal mit eingebunden, auch die, die eigentlich für Weichenstellungen und für die Dienstpläne zuständig sind. Ist auch nicht einfach. Da muss ja Rentnertarif her. Aber die zwei Behinderten einrechnen. Oder drei. Oh, die fahren auch mit Regionalbahn. Da gilt der Rentnertarif nicht. Aber Dauersparoberspezial für Herbst. Ach nee, nicht Dienstag. Das gilt nur Mittwochs vor Feiertagen, jeden 3. Donnerstag und an Papa Mehdorns Geburtstag. Wegen der Verwandten. In der alternativ angebotenen Fahrt 15 Minuten später greift der 10:00 bis 10:30 Tarif. Aber nicht, wenn der Zug Verspätung hat.

Alle anderen Anfragen werden mit einem „Nee, jetzt nicht. Jetzt wichtig.“ beantwortet. Endlich ist die Lösung da. 5 Strecken mit 20 verschiedenen Preisangeboten. Teilweise mit Einschränkungen: Seniorenspartarif ist 5 Euro billiger, wenn keine Senioren mitfahren. Stolz meldet das Rechenzentrum das Ergebnis. An alle. Das sollen alle wissen, dass das Rechenzentrum das kann. An Millionen von Bahnautomaten wundern sich die Kunden, warum sie statt der Reise z.B. von München nach Hamburg die Strecke Sprockhövel nach Limburg angeboten kriegen. Das Rechenzentrum ist stolz. „Was ich alles kann.“

Da kommt die eilige Meldung vom Rechner im Bundesinnenministerium an den kleinen Automaten. „Weiter aufhalten. Wir prüfen noch.“ Gerade rechtzeitig. Der Automat wollte gerade schon anzeigen. Was jetzt? Automat beschließt: „Ich lass mal Probe rechnen.“ Und schickt die Anfrage mit dem bisherigen Ergebnis wieder ans Rechenzentrum. Das Rechenzentrum ist noch im Siegestaumel. Da kommt die neue Anfrage.

Rechner im Bundesinnenministerium: noch so eine Anfrage? Das ist unmöglich. Da steckt mehr hinter. Terroralarm! Die GSG 9 wird verständigt. Seit Bad Kleinen kennen die sich mit Bahnverkehr bestens aus.

In Zusammenarbeit mit Schäuble kann man ja demnächst auch seine DNA bei der Bahn hinterlegen. Dann packt man den Automaten an und der ermittelt sofort: das ist Kalle, 43 Jahre, männlich. Kalle hat ne Bahncard 50 und für ihn gilt der Blondentarif. Der Automat berechnet dann automatisch, wohin man fahren will, zu welcher Zeit und zu welchen Preis und bucht das gleich vom Konto ab. Man kriegt auch keine Fahrkarte mehr, man muss nur einsteigen. Der Nacktscanner am Zugeingang ermittelt dann nicht nur die eigene Unbedenklichkeit sondern auch ob man bezahlt hat.

Wenn der Bundestrojaner erst richtig verteilt ist, dann braucht man noch nicht mal die Daten dafür selbst eingeben. Dann wird der Fingerabdruck direkt von der eigenen Computertastatur genommen, und die restlichen Daten kriegt man irgendwie auch aus dem, was man im eigenen Computer hat. Das kann dann auch gleich für Werbung genutzt werden. Die Automaten können dann bestimmt auch sprechen. „Ich habe Ihnen dann in München gleich eine U-Bahnfahrkarte mitgekauft zum Karlsplatz, da können Sie dann erst mal zu Beate Uhse.“ Wenn der Fahrgast dann rot wird und was stammelt von „Habe ich doch gar nicht nötig, was soll das denn?“ antwortet der Automat: „Das haben wir gerne. Da will man nur helfen und schon wird man angemacht. Wer ist denn gestern 1 Stunde lang im Internet auf Pornoseiten gewesen? Ich war das nicht.“

Aber zurück zum Automaten und zum Rechenzentrum. Die beiden haben aus dem Innenministerium die Anweisung gekriegt: „Die verdächtigen aufhalten.“ Für einen Automaten eine schwierige Sache. Der Automat überlegt: vielleicht wäre es ja möglich, Wechselgeld auszuspucken und den Anführer im Ausgabeschacht einzukeilen. Nein, Mist, es gibt ja kein Wechselgeld mehr, man muss mit Karte bezahlen. Vielleicht kann man die EC-Karte verlangen und dann mit so einer Wucht ausspuken, dass der Eingebende K.o. geht?

Das Rechenzentrum weiß auch nicht genau, was zu tun ist. Das ist neu für so ein Rechenzentrum. Es gerät völlig in Panik: es rechnet immer wieder die Ergebnisse nach, schickt sie aber an sich selbst – dem Automaten darf es das Ergebnis ja nicht geben. Da die Ergebnisse immer wieder anders sind – so einfach sind die Tarife der Bahn selbst für Computer nicht – herrscht bitweise Panik. Das Rechenzentrum ist ja quasi nur noch mit sich selbst und den 20 Rentnern beschäftigt. Sämtliche Computer interessiert nur noch eins: warum will heute jeder nur noch Rentnertarif? Da ist keine Zeit mehr für anderes.

Es gibt auch nichts anderes mehr. Es geht nichts mehr rein, es geht nichts mehr raus. Jede Anfrage wird mit „Jetzt nicht, Papi arbeitet“ beantwortet. Das ist dann ein bisschen doof für die Bahnangestellten, die das auf ihrem Schirm sehen. Es bleibt nur noch eine Hoffnung: dass die GSG 9 endlich kommt. Die kommen aber nicht, die versuchen am Bahnhof Bochum gerade eine Fahrkarte zu ziehen.

In Berlin geht nichts mehr. Der Betriebsführung bleibt nur noch eine Lösung: sie drücken den Hauptschalter. Stille. Alles aus.

Also so ungefähr muss das abgelaufen sein. So legten 20 terroristische Rentner die ganze Bahn lahm. Gerüchteweise plant die Rentnergang demnächst einen Tagesausflug nach Berlin. Mit dem Flieger von Dortmund aus. Ist billiger. Und man kommt auch an. Vielleicht.

P.S.: Stimmt es eigentlich, dass Wolfgang Schäuble schon als Kind hölzerne Pferde gebaut hat?
P.P.S.: Die Geschichte war natürlich erlogen. Ein Detail kann gar nicht stimmen. Wer es findet, darf den Autoren benachrichtigen, um ein Lob zu erhalten. 

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