„Bitte, lass es keinen Flüchtling sein“. Das habe ich jetzt mehrfach  gehört oder gelesen nach grausamen Taten. Als ob es einen Unterschied  machen würde, ob jemand ein Flüchtling ist oder nicht. Als ob jemand,  der aus seinem Heimatland geht, automatisch ein schlechter Mensch ist.  Oder auf der anderen Seite: ein guter.
 Ich halte es für vermessen zu glauben, dass nur die besten bei uns  ankommen. Ich glaube, dass es für ein Arschloch leichter ist, die Heimat  zu verlassen und sich auch auf der beschwerlichen Flucht durchzusetzen.  Das heißt aber nicht, dass es nur für Arschlöcher möglich ist. Ich  glaube nur daran, dass eher die Nicht-Arschlöcher in Auffanglagern  kaserniert werden oder im Meer ertrinken. Anders gesagt: mit unserer  momentan Vorgehensweise erreichen wir, dass unter denen, die zu uns  kommen, ein höherer Prozentsatz von denen ist, die wir eigentlich nicht  wollen.
 Aber das ist alles nur Glauben, nicht Wissen.
 Ich bin einstmals in dem Glauben aufgewachsen, dass Verstand ein  wichtiges Gut ist und für die sinnvollen Entscheidungen sorgt. Und das  deswegen unsere Probleme mit dem Verstand gelöst werden. Ich glaube, ich  lag falsch. Es geht doch gar nicht mehr um Fakten oder  Verstandsentscheidungen, es geht um Bauchgefühle und der Möglichkeit,  einen Schuldigen zu finden.
 „Merkel ist schuld.“
 Was hat Frau Merkel falsch gemacht? Sie hat die Flüchtlinge eingeladen  durch ihre großartigen Gesten? Hört sich gut an. Für die AfD. Es ist nur  nicht wahr. Es ist ja AfD.
 Schon im August 2015 wusste Herr De Maiziere, dass 800000 Flüchtlinge  nach Deutschland kommen würden im Jahr 2015. Es wurden 890000. Merkels  „Wir schaffen das“ kam dann am 31.8. Die Öffnung der Grenzen am 5.9.  Erstaunlicherweise wird diese Öffnung übrigens aus den Bundesländern am  meisten kritisiert, die von einer anderen Grenzöffnung ziemlich  profitierten.
 Merkel hat sie eingeladen, deswegen sind sie gekommen. Das klingt sehr  schön, nur interessierten sich wenige für ein Selfie, das Merkel mit  einem Flüchtling zeigte oder dafür, dass deutsche Kanzlerinnen „Wir  schaffen das“ sagen können, ohne viel dafür zu tun. Interessant war  allerdings, dass sich per Twitter die Meldung, dass Deutschland das  Dublin-Abkommen auf Syrer nicht mehr anwenden würde, stark verbreitete.  Das war schon für Syrer interessant. Es war jetzt politisch nicht so  interessant, da das Dublin-Abkommen schon seit 2011 stark demoliert war.  Damals waren  Abschiebungen nach Griechenland vom Europäischen  Gerichtshof gestoppt worden waren.
 Also hat Merkel sie doch motiviert? Stimmt auch nicht. Die waren schon  auf dem Weg. Es ist tatsächlich so, dass für Deutschland die  Flüchtlingszahlen kontinuierlich stiegen im Laufe des Jahres 2015.  Normal gibt es so 10000 in der Woche, in der Woche des „Wir schaffen  das“ waren es schon 30000, kurz darauf 40000. Ende Oktober wurde mit  55000 der Peak erreicht. Nur: die Syrer mussten 3000 km hinter sich  bringen über die sogenannte Balkanroute. Beamen war noch nicht drin. Das  heißt: da waren schon viele in Bewegung. Vielleicht hat Angela Merkel  tatsächlich noch mal für einen Anstieg gesorgt. Aber: Ende des Jahres  waren wir schon wieder runter auf 30000 Flüchtlinge, die es auch vor  ihren Worten gab. Das heißt: Angela Merkel könnte vielleicht schuld sein  an den Flüchtlingen über 40000 pro Woche zwischen 5. September und 24.  Dezember. Das sind dann insgesamt nicht einmal 100000, in Bankersprech:  Peanuts.
 Google stützt diese Annahme übrigens: die wöchentlichen Zahlen der  Leute, die sich über Asyl oder Einwandung in Deutschland informierten,  waren im August am höchsten – vor allen Merkelwürdigkeiten.
 Kleiner Gag am Rande: als am 9.3. die Balkanroute geschlossen wurde und  am 20.3. das EU-Türkei-Abkommen in Kraft trat, waren wir übrigens  zahlenmäßig schon wieder bei den Werten von Anfang 2014 angekommen.  Wobei die Schließung der Balkanroute schon Besserungen im Umgang mit  Flüchtlingen bringt. Dadurch Ertrinken wieder mehr im Meer. Das müssen  die berühmten christlichen Werte sein, da ist Wasser ja sehr wichtig.
 Wer war eigentlich schuld? Na ja, es gibt da schon so einen kleinen  Krieg in Syrien, der im Sommer 2015 eskalierte – manch ein Syrer mag den  als Anlass genommen haben, um lieber woanders hinzugehen. Würden wir  Deutschen natürlich nie machen. Das ist historisch übrigens gar nicht so  falsch, normalerweise sorgen wir Deutschen dafür, dass wir in einem  Krieg auch kaum einen Ort haben, an dem wir hingehen könnten, da wir  alles Erreichbare gleich mit in den Krieg ziehen.
 Zu dem Krieg kam aber, dass der Libanon seine Gesetze verändert hatte  und ab Anfang 2015 keine Flüchtlinge mehr aufnahm. Gerüchte gab es, die  Türkei plane ähnliches. Böse, Böse. Vielleicht könnte man es aber  verstehen, wenn man sieht, dass der Libanon 1,2 Millionen aufgenommen  hatte, also mehr als wir – bei 3,5 Millionen Einwohnern. Das wäre so,  als würden wir 30 Millionen Flüchtlinge bekommen. Und wir sind  wirtschaftlich stark im Gegensatz zum Libanon…
 Das Flüchtlingsproblem wirkt in politischen Diskussionen immer wie ein  Überraschungsei. „Ach guck mal, Flüchtlinge – wo kommen die denn her.“
 Dabei war das voraussehbar. Und es ist übrigens auch nicht so, dass  Nachbarstaaten der Flüchtlinge nichts tun. Da gibt es Lager, die sind so  riesig, da kann man komplette Ostdeutsche Städte verstecken.
 Anders gesagt: bisher profitierten wir davon, dass andere Staaten die Last aufnahmen.
 Also: Angela Merkel ist nicht schuld an verfehlter Flüchtlingspolitik? Doch, aber lustigerweise anders.
 Fangen wir mal an mit dem Anfang des Textes: De Misere wusste im August  schon, dass viele Flüchtlinge kommen. Komisch: zu diesem Zeitpunkt hat  noch niemand mit Matratzenlagern in Turnhallen geplant. Nicht nur das:  es war voraussehbar, dass der Syrienkrieg eskalierte. Waren wir drauf  vorbereitet? Hatten wir genug Experten, die sich um die Asylsuchenden  kümmern konnten? Da rede ich noch nicht mal von Sozialhelfern, Lehrern  und Therapeuten, selbst die Bearbeitung von Asylanträgen scheint ja von  denen geplant worden zu sein, die auch den Berliner Flughafen  verantworten.
 Was macht denn die verantwortlichen Politiker eigentlich?
 Selbst am Ende des Jahres 2016 ergeht sich doch nicht nur die AfD im  populistischen Mumpitz, ihre Eltern von der CSU machen es doch auch so.
 Es war noch nicht mal klar, wer das Attentat in Berlin verübt hat, da  forderte die Sinnlosigkeit jenseits des Weißwurstäquators, Horst  Seehofer, wieder eine Obergrenze für Flüchtlinge. Ich halte den gar  nicht für dumm, den Horst. Das macht es schlimmer. Eine Obergrenze für  Flüchtlinge verkauft er uns als Mittel. Weil wir 100000 beruhigt  aufnehmen können, die ersten Terroristen kommen erst an Stellen 100020  und 100021. Und wie machen wir das? Nehmen wir einfach Frau von Storch  das Gewehr aus der Hand und schießen auf die Flüchtlinge an der Grenze?  Ist ein bisschen schwierig, da die meisten nicht mit einem  Flüchtlingsstern auf der Brust rumlaufen. Die sehen ganz normal aus. Mit  einem bisschen Pech treffen wir da einen Deutschen, der von einem  Auslandsurlaub zurückkommt. Außerdem: die ganzen Kosten für die Särge…
 Na gut, wenn sie schon da sind, dann schaffen wir sie zurück. Das ist  aber auch nicht so einfach. Wir wissen gar nicht immer, woher sie kommen  und müssen es erstmal rausfinden. Und dann wollen die Staaten, wo sie  herkommen, sie gar nicht zurückhaben. Vielleicht könnten wir sie dann  einfach mit dem Flugzeug über den Staaten abwerfen…
 Warum kommen die Flüchtlinge überhaupt zu uns oder nach Schweden oder  Österreich – alles Länder, in dem sie vieles erleiden müssen wie  schlechtes Wetter, unbekannte Sprachen und in unserem Fall Lederhosen?  Wegen unseres Wohlstands und der sozialen Sicherungssysteme. Und  natürlich der Sicherheit, dass hier kein Krieg herrscht.
 Was bräuchten wir denn jetzt eigentlich? Das ist einfach: einen Plan  statt einem Gewurschtel. Beispiel: ein Einwanderungsgesetz. Wir müssen  mal ordentlich sagen: wen wollen wir? Wen nehmen wir temporär per Asyl?  Was machen wir mit denjenigen?
 Dann bräuchten wir eine Justiz, die wieder funktioniert. Nach jedem  Anschlag werden mehr Rechte für die Polizei gefordert – nicht nur bei  uns. Nach vielen Anschlägen kommt heraus: die Attentäter waren doch  schon bekannt. Und auch meistens gar nicht Asylvanten. Die Polizei will  immer weitere Daten. Wofür? Sie können doch mit den jetzigen schon nicht  umgehen. Wobei man da unterscheiden muss: viele Polizeibeamte machen  vermutlich gute Arbeit. Nur die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen  Gremien und Ländern ist derart desolat… Und manchmal verwundert es doch,  wenn humpelnde syrische Attentäter Polizisten weglaufen können…
 Wir brauchen eine Justiz, die nicht zügig durchgreift. Verhandlungen  müssen schneller geschehen, nicht erst anderthalb Jahre nach der Tat. Es  demoralisiert die Polizei, wenn sie drei Mal den gleichen Drogenhändler  verhaftet, weil seine Gerichtsverhandlung noch nicht gelaufen ist – und  wenn er dann erstmal Bewährung kriegt.
 Vielleicht kriegt die Polizei ja demnächst Hilfe. Stichwort:  Bundeswehreinsatz im Inneren. Da spart man sich Kosten für einen  Polizisten, man hat ja den freundlichen Bundeswehrsoldaten von nebenan.  Habe da interessante Berichte gelesen von der Ausbildung einschließlich  „Sanitäterinnen in den Vaginalbereich gefasst“. So sieht  Bundeswehreinsatz im Inneren aus?
 Zurück zur Justiz: warum braucht man eigentlich so lange, um einen  Drogenhändler zu verurteilen? Warum ist es nicht möglich, dass sich  Polizeibehörden verschiedener Bundesländer vernünftig austauschen  können?
 Ich befürchte ja, dass es nicht an den einzelnen Behörden, Richtern,  Staatsanwälten liegt. Die sind nämlich nur Ausführende. Den Rahmen setzt  die Politik – und die reagiert auf Veränderungen seit Jahren nur noch,  wenn es unbedingt sein muss. Mit einem „Wir schaffen das“ statt mit  einem „Wir schaffen das, und zwar so:…“