Novemberregen (von Corinna Vanvlodorp)

Es ist der Regen. Sicher ist es der kalte Herbstregen, der fein und unaufhaltsam auf die Menschen herabnieselt und vom Aufgeben erzaehlt. Der die Tage in grau huellt und dessen Kaelte schon den naechsten Winter ahnen laesst, der vom Fruehling nichts weiss und die Farben des Sommers laengst vergessen hat. Es ist der Herbstregen. Der durch die Kleider kriecht und wie feiner Nebel einen Mantel bildet, sich nieder setzt auf Gesicht und Haende, damit die Kaelte an ihnen haften bleibt.

In Grau gemalt sind die Strassen, wo Menschen gehen, hastig nach Hause, um dem Regen und der Kaelte zu entfliehen, dorthin wo Waerme sein muss, wo Menschen wohnen.

Und den Strassen, Haeusern und Gaerten wird die Farbe abgewaschen in mattem Dunst, wo Menschen mit bleichen und abgehetzten Gesichtern nach einer Zuflucht suchen, und die Lampen sind wie Laternen aus einem der alten Filme, deren verlorenes Licht nur die Strasse beleuchtet, das Geschehen jedoch im Dunkeln laesst. An solchen Tagen aber, wo es nie wirklich hell wird, ist gut denken. Denken und spazieren gehen. Das Benzin in den Pfuetzen betrachtend, Regenbogen in verlorenem braun, bunt und ohne Zukunft.

Und sicher ist es der Herbstregen auf dem Gesicht, salzig und brennend vor Kaelte. Das einzige Brennen vielleicht. Und es ist der Herbstwind, der die Augen schliessen macht und den Mund schwer atmen. Der die Haende Halt suchen laesst am Gelaender. Das Gesicht nach unten gerichtet als koennte sich die Strasse verlieren unter den Fuessen, die das Wohin ihres Weges laengst vergessen haben.

Und die Gedanken treiben. Wie die letzten Blaetter vor Tagen von den Baeumen gerissen wurden, so sind es nun die Fetzen von Gedanken, Erinnerungen, Hoffnungen – aufgeruettelt in einem Wind, wild und verzweifelt, endzeitig, aber nicht stark genug um Sturm genannt werden zu koennen. Und Muedigkeit breitet sich aus. Hinlegen, schlafen, zu Ruhe kommen. Wenn nur der Regen nicht waere, dessen durchdringende Gegenwart bis in die Knochen sticht. Schlafen. Dunkel werden. Zurueck finden. Den Rhythmus spueren. Rhythmus der im Vibrieren der Bruecke seinen Wiederhall findet, dort wo die Zuege ueber den Rhein einfahren in den Bahnhof.

Unter der Bruecke der Strom. Poetisch, melancholisch graubraun. Aufgeruehrt von Wind und dem Regen der letzten Tage. Schiffe fahren nur noch wenige ueber den Rhein, wenn das Wasser so hoch ist. Stehen und betrachten, der Rhythmus der Zuege und die Wellen, das Leise im Lauten der Umgebung. Vereinzelte Jogger finden ihren Weg, ueber die Bruecke und hinunter zum Ufer. Zielgerichtet, gleichmaessig in Tritt und Atem. Du horchst, nimmst den Kopf hoch, betrachtest – denkst. Aus dem Tritt geraten bist Du. Das wird es sein. Den Rhythmus verloren. Oder das Ziel oder beides?

Und wie Du denkst und wartest und der Regen faellt, und die Wellen sich an den Pfeilern der Bruecke brechen, sich umschlingend, verschlungen, ungleichmaessig und doch mit einem eigenen Rhythmus, endgueltig, scheinst Du Antwort und Frage vergessen zu haben.

Nur der Wind bleibt und ein verlorenes Suchen, mit traurigen Augen und dem stummen Entsetzen, dass Du nicht vermisst werden wirst, wenn Du fort bist. Und dass Du schon laenger fort bist, und weiter, als Du gedacht haettest.

Und der Regen faellt.

Er faellt wie die Hoffnung aus Deinen Augen, vermischt sich mit verlorenen Wuenschen und rinnt die Wangen hinab in den Kragen. Die Nase laeuft und das Taschentuch ist aufgeweicht. Wie die schwermuetige Welt hinter der Du Dein Entsetzen verbirgst, Deine Sehnsucht nach Heimkommen und Deine Angst davor keinen Rueckweg zu haben.

Und die schoene Tragik des Seins verrinnt in der Erkenntnis, das niemand da ist, um sie zu teilen. Was bleibt ist der Fluss, kalt und unnahbar sieht er jetzt aus. Und weit weg. Was eben noch ein der Strom des Abschieds haette werden koennen, nun ein schlammaufgewuehlter schmutziger Anfang eines wenig poetischen Endes. Und der Wind ist schneidend kalt. Und vielleicht ist das Laecheln, welches sich nun langsam und unaufhaltsam auf Deinem Gesicht ausbreitet, das ehrlichere der beiden widerstreitenden Gefuehle. Triumphierend in der ganzen Boshaftigkeit seiner zynischen Selbsterkenntnis.

Denn Du wirst nicht vermisst werden. Jetzt nicht und morgen nicht. Und nie.

Und das dramatische Ende wird, so es denn ueberhaupt ein Ende wird, unbemerkt und kalt und schliesslich in einer fuer Dich sehr wenig erfreulichen Art kommen. Und wenn es kein Ende wird, dann wird es noch weniger erfreulich kommen, denn Du wirst viel zu erklaeren haben, all jenen, denen Dein Leben auf einmal wichtig geworden ist, weil sie es retten mussten.

Deine Taschentuecher sind aufgebraucht oder unbenutzbar, Deine Nase laeuft wie der Regen immer noch unablaessig Deinen Koerper hinabrinnt, immer noch auf der Suche nach den letzten trockenen Ueberresten Deines Seins. Unerschuetterlich traben auch jetzt noch vereinzelte Jogger von Ufer zu Ufer, manche von Ihnen betrachten Dich beilaeufig, Fahrradfahrer beeilen sich an Dir vorbei zu kommen und Zug um Zug draengt es laut und vibrierend in den Bahnhof hinein.

Du hast deine Chance vertan. Erschoepft und entmutigt ueberlaesst Du Dich dem Heimwaertsdraengen Deiner Fuesse, Schritt um Schritt fort von der Bruecke, den Sehnsuechten, Hoffnungen und Erinnerungen. Vorbei an den Pfuetzen, den Strassen von Grau hinunter in die Anonymitaet der U-Bahn Schaechte, heimwaerts, dorthin, wo Du nicht vermisst worden bist, noch wirst. Wo die Heizung leere Raeume warmer Verzweiflung fuer Dich bereithaelt und das Versprechen eines stillen Vergessens. Und ganz allmaehlich, langsam und kaum wahrnehmbar entfaltet sich in Dir ein leises Gefuehl. Kaum eine Ahnung, Hoffnung, vielleicht ein wenig Frieden. Als Du erkennst, dass die Bruecke auch morgen noch steht, wenn der Regen weniger geworden ist, und das Draengen tiefer, die Sehnsucht nach dem Vergessen ehrlicher. Und der Wind nicht mehr so kalt.

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