Stillleben (von Corinna Vanvlodorp)

Ihre Finger zitterten. Zitterten ein wenig, als sie nach der Zigarette griff. Nach der Zigarette griff, sie vorsichtig in den Mund steckte, dann das Feuerzeug aus der Schachtel zog, langsam, als müsste sie noch darüber nachdenken, es hielt mit beiden Händen um ihm dann, vorsichtig und mit geschlossenen Augen, eine zarte blaue Flamme zu entlocken. Sie brauchte drei Versuche, bis sie den ersten tiefen Zug nehmen konnte. Den Rauch einsog, immer noch mit geschlossenen Augen, dann, das Feuerzeug in der einen umklammert, die Zigarette in die andere nehmend, den Atem in einer einzigen langen Rauchwolke freiließ in die Nacht. Erst jetzt öffnete sie die Augen wieder und blickte ziellos über die Stadt. Man hatte einen guten Blick von hier oben. Die Kälte hatte das Geländer des Balkons weiß gefärbt, wo der Sonnenschirm einer alten Vogelscheuche gleich im Wind knisterte. Hier draußen war es still. Friedlich. Der Sternenhimmel leuchtete in seltener Klarheit und auch die Lichter der Stadt waren weniger geworden inzwischen, und die Sterne erschienen deutlicher so, gegen den schwarzen Himmel, und nicht so weit fort. Allein entfernt hallten eilige Schritte. Vermutlich nach Hause, dachte sie noch. In die schützende Wärme der eigenen vier Wände, wohin die Kälte nicht folgen konnte. Wieder nahm sie einen Zug. Die Arme jetzt fest um den mageren Körper geschlungen. Schlank hätte sie früher gedacht. Indessen – mager war die richtigere Beschreibung.

Andere beneiden Dich darum, hörte sie die innere Stimme zwitschern. Sie lächelte und nahm noch einen Zug. Ja. Sicher. Andere. Früher hast Du jedes Gramm gezählt, flötete die Stimme weiter in ihrem Gedächtnis. Ein bisschen zu schrill, wenn sie` s recht überlegte. Früher. Ihr kurzes Lachen endete abrupt, ihre Finger fuhren an die Lippen, nachdenklich erst, vorsichtig tastend, als hätten sie sie das erste Mal seit langer Zeit wieder wahr genommen. Wieder zog sie an der Zigarette. Früher. Wie lange mochte das her sein? Sie sah sich noch vor dem Spiegel. Wie sie sich die Lippen bemalte, blutrot. Und wie sie fluchte, wenn der Lippenstift an die Zähne kam. Dachte an den mühsamen Lidstrich und das sorgfältig aufgetragene Makeup. Sie hatte sich die Augenbraün gezupft damals und Stunden mit Freundinnen vor dem Spiegel verbracht, umgeben von einem dichten und männerfeindlichen Dunst aus Parfum und Haarspray. Heute war jede Bewegung Routine geworden. Der Duft seit Jahren derselbe, dezent und nasenfreundlich. Der Blick in den Spiegel ging beiläufig, ohne zu viel Erinnerung zu hinterlassen. Fliehend.

Die Zigarette war herunter gebrannt. Vorsichtig löschte sie den Rest. Hob eine der Winterpflanzen aus dem Blumenkasten und bestattete den Filter bei den Seinen. Eine Familiengruft sozusagen. Und ein Anflug von Lächeln zeigte sich wieder auf ihrem Gesicht, während sie weiter frierend gen Nachthimmel starrte. Es war ein hübsches Gesicht, dachte sie plötzlich. Damals, es war ein sehr hübsches Gesicht, mit einer etwas spitzen Nase, hohen Wangenknochen und braunen Augen mit langen Wimpern. Voller Unschuld. „Wie Bambi!“, hatte er damals gesagt. Und beide hatten gelacht.

Sie griff noch einmal nach der Schachtel, öffnete Sie immer noch zitternd, zog eine der Zigaretten heraus, zögerte, überlegte kurz und steckte sie wieder zurück. „Bambi.“ Sie schüttelte den Kopf. Der einfallsreichste war er nie gewesen. Eines der wenigen Dinge, die die Jahre nicht hatten ändern können. Draußen schlug eine Autotür, dann eine zweite. Unmerklich beim ersten Geräusch zuckend, entspannte sie sich nun wieder. Zu früh, dachte sie, viel zu früh. Eine Stunde hatte sie wohl noch.

Und wie von der Erkenntnis beruhigt, entschied sie doch noch eine zu rauchen, öffnete die Schachtel, nun entschlossener als eben, nahm die Zigarette, führte sie zum Mund, griff das Feürzeug – jedoch nur um erneut inne zu halten und beides wieder in der Schachtel verschwinden zu lassen. Unschlüssig sah sie zur Seite, fast als schämte sie sich, über die Unfähigkeit zur Entscheidung. Dann seufzte sie, griff nach der Keksdose, die bis dahin unbeachtet auf dem kleinen Abstelltisch neben dem Sonnenschirm gestanden hatte, liess die Schachtel darin verschwinden und stellte sie unschlüssig zurück. Erst an den Rand. Dann schob sie sie langsam zur Mitte. Die Finger darauf ruhend, als wollte sie vielleicht, aber nur vielleicht doch noch einmal die Schachtel hervor holen. Oder zumindest die Finger zum Abschied noch darauf liegen lassen, eine Weile.

Dann nahm sie sie plötzlich getrieben von einem unerklärlichen Wunsch wieder auf, presste sie an sich, als könnte sie geraubt werden. Sie hielt sie eine Weile – umklammert. Stand, die Augen geschlossen, die Arme umschlungen, verkrampft, die Dose an sich gepresst wie einen kostbaren Schatz. Stand da, atmete tief, die Lippen aufeinander, gekrümmt, wiegte sich, gefangen in einem stillen Aufbegehren unendlicher Kraftanstrengung, und schwieg. Eine Ewigkeit. Dann, langsam, löste sich die Anspannung. Sie atmete aus, tief und konzentriert, liess die Arme sinken die Dose immer noch in der Hand haltend. Lockerer jetzt. Nachgebend. Ob Sie die Blumenvase bereitstellen sollte für morgen? Wenn die Entschuldigung käme, wie sie immer kam? Tiefempfunden und ehrlich? Ob sie den Koffer packen sollte, wie sie es immer tat, heimlich und verborgen, um ihn beschämt wieder auszupacken, wenn sie der Wahrheit angesichtig wurde, dass da nichts war, wo sie hingehen könnte, selbst wenn sie wollte? Sie wusste es nicht. Einen Moment lang horchte sie wirklich in sich hinein, ob da nicht etwas war, was sie tun wollte, tun musste, hier und jetzt – aber es fiel ihr nicht ein.

Da war nichts. Das Suchen, das Drängen war fort. Die Kälte hatte es wohl fortgetragen, während sie selbst geblieben war. Auch das Zittern war geblieben. Aber das machte die Kälte.

Und morgen? Morgen würde ein anderer Tag sein. Und wie sie so stand und überlegte, nickte sie mit einem mal, griff nun sicherer werdend nach der Balkontür. Die Dose hielt sie, wie beiläufig, immer noch in der Hand. Unbeachtet.

Ihre Finger zitterten ein wenig, als sie nach der Türe griff. Nach der Türe griff, zögerte als erwarte sie es könne sie jemand, irgendjemand, noch aufhalten. Als sie zurückblickte. Noch einmal. Dann, entschieden jetzt, den Kopf abwandte, hin zur Tür, sie langsam öffnete, und hinein ging.

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