Eine große Stadt. Ein Hochsicherheitstrakt. Ein Anwalt und ein Mann im Gesprächszimmer.
„Tja, Herr … wie soll ich sie nennen?“
„Sie können mich Klaus nennen. Tun alle hier.“
„Herr Klaus, …“
„Einfach nur Klaus.“
„Gut. Also Klaus, Sie…“
„Und duzen. Das tun alle.“
„Na
gut, Klaus. Ich fang mal damit an: Du hast wirklich das größte
Straftatenregister, dass ich je gesehen habe. Es wird nicht leicht
sein.“
„Aber ich habe es doch nur gut gemeint.“
Mal eine kleine Unterbrechung: während der Anwalt, ein Pflichtverteidiger, seine etwas abgetragene Robe trägt, ist Klaus natürlich in Gefängniskleidung zu sehen. Klaus ist sehr beleibt, hat wildes weißes Haar und einen passenden Bart. Der Anwalt verschwindet beinahe, wenn man die beiden von der Seite betrachtet. Klein und dünn, schwarzhaarig mit Hang zur Glatze – damit ist er beinahe Klausens Gegenteil. Im Gesprächszimmer gibt es ansonsten nicht viel: einen Aktenkoffer – den hat der Anwalt mitgebracht. Zwei Gläser und eine Flasche Wasser haben die Wärter bereitgestellt, außerdem – höchst ungewöhnlich – ein paar Plätzchen.
Nun
aber weiter im Text. Wir erinnern uns: vor der Unterbrechung meinte
Klaus, er hätte es nur gut gemeint. Der Anwalt darf weiter sprechen:
„Klaus, das weiß ich doch. Aber viele behaupten das.“
„Und ich wusste gar nicht, dass ich damit gegen eure Gesetze verstoße.“
„Das habe ich auch schon häufig gehört, hilft aber nichts: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Leider.“
Erstmal Schweigen. Dann redet der Rechtsbändiger weiter:
„Wir
brauchen als allererstes eine Strategie. Ich schlage vor, wir gehen
einfach mal alle Anklagepunkte durch. Ein Freispruch halte ich für
Aussichtslos…“ Klaus zuckt zusammen.
„… aber wir könnten wenigstens ein paar Punkte bei geeigneter Verteidigung von der Liste streichen. Und dafür haben Sie…
„Du.“
„… hast Du ja mich. Gut fangen wir an.“
Er nimmt einen eng bedruckten Zettel und einen Stift zur Hand.
„Punkt 1 ist Hausfriedensbruch in 25223 erwiesenen Fällen, dabei ist die vermutete Dunkelziffer um ein vielfaches größer.“
„Hausfriedensbruch?“
„Du bist ohne Erlaubnis in die Häuser eingestiegen.“
„Aber die wussten doch alle, dass ich komme.“
„Das hilft nicht. Du musst sie um Erlaubnis bitten.“
„Manche haben mir sogar Plätzchen hingestellt.“
„Bist
Du dir sicher, dass die für dich waren? Wenn nicht, haben wir dann noch
einen Fall von Mundraub. Pardon: mindestens 1000 Fälle von Mundraub…
und wenn ich die Anzahl so betrachte, dann kann ich nicht daran glauben,
dass wir auch auf Notstand plädieren könnten. Nun gut, gehen wir mal
davon aus, dass die Plätzchen für dich waren… aus der Plätzchengabe
dürfte konkludent folgen, dass diese Leute dich eingeladen haben. Wir
müssten jetzt jeden einzelnen als Zeugen befragen, aus welcher Situation
heraus er die Plätzchen hingestellt hat. Außerdem sollten wir sowieso
jeden befragen, ob er dich freiwillig eingelassen hat. Ich sehe da
Chancen, die Fallzahl weitaus zu verringern. Das macht die Sache aber
nicht viel besser.“
Der Anwalt ist, das sollte man erwähnen, nicht
nur ein Pedant, sondern auch ein Tiefstapler. Sein Vorteil daraus: die
Mandanten sind später froh, wenn er nur ein wenig Straferleichterung
verschafft hat. Das ist ein guter Tipp für Anwälte: versprecht nicht zu
viel. Und für Nicht-Anwälte: falls ihr Wunder haben wollt, geht nicht zu
Anwälten.
„Nun weiter: Du hast keinen Gewerbeschein?“
„Wofür?“
„Aber Du machst es ja auch nicht für Geld.“
„Niemals.“
„Gut,
dann können wir diesen Punkt wahrscheinlich streichen. Wir müssen
natürlich Beweise vorlegen. Da Du keine Gewinnerzielungsabsicht hast,
brauchst Du eigentlich keinen Gewerbeschein. Da hat die
Staatsanwaltschaft doch mal was übersehen. Wobei: dir ist schon klar,
dass Du mit der Ausgabe der Gegenstände die Wirtschaft nachhaltig
schädigst? Du verteilst Sachen im Wert von vielen Millionen Euro im
Jahr, die ansonsten die Wirtschaft an den Mann bringen könnte. Und die
Steuerausfälle. Auf diesen Punkt hat der Staatsanwalt allerdings nach
einem kurzen Gespräch verzichtet, Wirtschaftsrecht ist auch eine
schwierige Sache.“
Noch mal ein kleiner Kommentar: wer ist eigentlich
dieser Staat, wenn er gleich einen eigenen Anwalt haben muss – bzw.
sogar eine Horde davon… einen eigenen Anwalt hat sonst nur das
organisierte Verbrechen oder ganz große Firmen, was auf das gleiche
hinausläuft.
„Können wir mal die gesetzeswidrigen Kommentare aus dem Off sein lassen? Wir sind hier die Hauptfiguren.“
Tschuldigung.
„Das
gleiche gilt übrigens für die Paketbeförderung. Diese ist ja seit
einigen Jahren auch anderen Unternehmen als der Deutschen Post erlaubt.
Die vorherigen Übertretungen deinerseits sind zwar noch nicht verjährt,
hier verzichtet der Staatsanwalt aber ebenfalls.“
„Ein netter Mann.“
„Ich verbitte mir Sarkasmus.“
„Als Kind war er immer ganz brav.“
„Das
müssen wir aber vor Gericht nicht unbedingt auf den Tisch bringen. Vor
Gericht rede ich besser alleine, Du nur, wenn Du gefragt bist und nach
Rücksprache mit mir.“
„Wenn es denn sein muss…“
„Kommen wir nun
zu den verkehrstechnischen Dingen. Hier sehe ich keine Möglichkeiten.
Das Fluggerät ist nicht TÜV-abgenommen und Du hast keine
Pilotenausbildung. Diese Punkte müssen wir glaube ich einräumen. Zu
deiner Geschwindigkeitsüberschreitung auf dem Boden können wir
sicherlich argumentieren, dass diese nur für Autos und ähnliche
Fortbewegungsmittel gelten, nicht aber für – wenngleich unerlaubt
benutzte – Flugmittel.“
„Aber wie soll ich denn das alles schaffen ohne meinen Schlitten?“
“ Nebenbei halte ich einen fliegenden Schlitten für ausgesprochen altmodisch, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben kann.“
„Aber meine Rentiere mögen das.“
„So,
die Rentiere. Hmm. Da sehe ich auch Schwierigkeiten. Unsachgemäße Zucht
und Haltung von Tieren. Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, Paragraph
… Moment…“
„Aber sie haben es gut bei mir.“
„Ob sie es gut haben oder nicht bestimmt schon der Staat.“
„Aber sie leben jetzt seit über 1000 Jahren bei mir, und es geht ihnen gut. Es ist noch nie eins gestorben.“
„Hmm,
das sollten wir besser nicht vorbringen. 1000 Jahre alte Tiere… das
lässt schon auf schlimme Sachen wie Genmanipulation oder
Medikamentengabe schließen.“
„Aber ich habe nie…“
„Es geht nicht
darum, was Du hast. Es geht darum, was strafbar ist. Und wenn wir
gerade bei deinem Schlitten sind: wir sollten geltend machen, dass Du
Deutschland nur aus Staaten her betreten… gut, beflogen hast, die dem
Schengener Abkommen angehören. Strikt genommen bist Du ja schon ein
illegaler Einwanderer.“
„Aber ich war schon hier, als keiner von euch Deutschen hier war.“
„Das
tut nun wirklich nicht zur Sache. Ich denke aber, dass sie uns nicht
beweisen können, dass Du über die falschen Grenzen gekommen bist. Auf
Radar wirst Du ja nicht erfasst.“
„Mal was anderes: Ich hoffe, dass Du keine Geschenke mit einem Wert von über 5200 Euro verteilst.“
„Eher selten.“
„Selten?“
„Bei ein paar Leuten kommt es jedes Jahr vor.“
„Hmm, dann müssen die Leute Schenkungssteuer zahlen, solange sie nicht mit der verwandt sind.“
„Aber ich schenke ihnen doch…“
„So ist das halt.“
Tja, so ist das halt. Und weil das halt so ist, ist auch die Besuchszeit zu Ende.
„Mach
dir keine Sorgen, Klaus. Mit ein wenig Geschick meinerseits können wir
die Gesamtstrafe unter 10 Jahre drücken. Das ist für dich doch nichts.
Aber benimm dich gut. Geb’ alles zu, was wir nicht abstreiten können,
und sag dem Richter, dass Du deine Taten bereust.“
„Aber ich bereue sie doch gar nicht.“
„Du sollst auch nicht bereuen, du sollst es dem Richter sagen. Das reicht vollkommen aus. Gut, wir sehen uns morgen wieder.“
So, und um die Geschichte trotzdem noch zu einem guten Ende zu bringen: der Weihnachtsmann wurde freigesprochen und ist auch wieder jedes Jahr unterwegs. Und zwar ohne Probleme. Der Richter hat nämlich herausgefunden, dass er ihn gar nicht verurteilen kann. Die Rechtsfähigkeit beginnt nämlich mit der Vollendung der Geburt. Die ist vollendet, wenn ein Kind aus dem Mutterleib ausgetreten ist. Der Weihnachtsmann ist aber eine Sagengestalt und war nie in einem Mutterleib, er wurde auch gar nicht geboren. Deswegen darf man den Weihnachtsmann gar nicht verurteilen.
Ja, wenn ihr alle artig wart, dann kommt er auch zu euch. Und weil Schenken soviel Spaß macht – der Weihnachtsmann weiß das – schenke ich euch vorher schon diese Geschichte. Ich hoffe, sie gefällt euch.