Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet

„Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet.“ Ich mach das jetzt doch, ich werde gerade Kampfrichter beim Schwimmen. Mein Vorteil: ich werde nicht gerichtet, da ich selbst nicht mitschwimme.

Ich habe erstmal die theoretische Ausbildung gemacht. Das klingt etwas merkwürdig, so wie Trockenschwimmen. Ist es auch.

Einfühlsam wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass wir nach den 7 Stunden Ausbildung einen Test zu schreiben haben. Einen Multiple Choice Test. Wie die Führerscheinprüfung. Ich sah die Fragezeichen in den Gesichtern: „Wenn drei Schwimmer aufeinander zu schwimmen, wer hat Vorfahrt?“

Im Prinzip kann man die Regeln des Schwimmens so zusammenfassen: nicht untergehen, nicht vor dem Startschuss ins Wasser (außer beim Rückenschwimmen) und möglichst die Wende nicht vergessen, sonst tut es weh und das Schwimmbad muss saniert werden.

Darüber hinaus gibt es dann aber doch ein paar weitere Dinge zu bedenken.

Man darf nicht gegen die geschriebenen oder die ungeschriebenen Gesetze des Sports verstoßen. Die ungeschriebenen sind dabei etwas schwieriger. Das führt zu Durchsagen wie „Bei 1500m Freistil wurde der Schwimmer auf Bahn 3 disqualifiziert, weil er zwischen 600 und 800m sein Frühstück verzehrte.“ Eigentlich nichts schlimmes, aber Kaffee gehört nicht ins Wasser wegen der Dopingrichtlinien. Auch darf man nicht ins Schwimmbecken pinkeln, vor allem nicht vom Startblock. Das liegt daran, dass man sich auf dem Startblock vor dem Startschuss ruhig verhalten muss. Neben das Becken darf man übrigens auch nicht.

Verboten sind auch sogenannte Schrittmacherdienste: Trainer, die neben dem Becken mitlaufen und die Geschwindigkeit vorgeben. Oder Trommeln wie bei alten Galeerensklavenfilmen.

Wer achtet auf den Regeln? Ich. Und 1000 andere. Beim Fußball laufen 22 Leute durch die Gegend, und einer spielt den Hirten oder Schiedsrichter. Linienrichter gibt es dann für die älteren, damit keiner die Linien klaut. Beim Schwimmen gibt es folgende Posten: Schiedsrichter, Zeitnehmer, Zeitnehmerobmann, Ersatzzeitnehmer, Wenderichter, Wenderichterobmann, Kaffeekocher, Zielrichter, Zielrichterobmann, Schwimmrichter, Kuchenthekenobmann, Starter, Auswerter, Protokollant und Sprecher. Und jemanden, der sich neue Titel ausdenkt.

Vermutung ist, dass die Posten gar nicht so wichtig sind: Es geht darum, dass die Eltern was Sinnvolles zu tun haben und nicht beim Wettkampf stören. Beim Fußball ist es soweit, dass Eltern bei F-Jugendspielen Platzverbot haben und nicht mehr zusehen dürfen. Beim Schwimmen haben die meisten soviel zu tun, dass sie gar nichts Schlimmes mehr machen können.

Beispielsweise die Wenderichter: die gucken, ob die Wende geklappt hat oder die Trainer wieder fälschlicherweise blühende Landschaften versprochen haben. Zusätzlich zeigen sie bei den Langstrecken die noch zu schwimmenden Bahnen an: 29, 27, 25… Für Wenderichter gibt es einen speziellen Rechenkurs. Übrigens: Wenn ein Wenderichter -1 anzeigt, hat das was zu sagen.

Im Endeffekt hat der Wenderichter wenig zu tun und kann nebenbei noch ein Fernstudium absolvieren oder Spiegeleier braten oder sowas. Aber er kann nicht weg, weil hin und wieder doch jemand vorbeischwimmt, den er begutachten muss.

Persönlicher spannender finde ich den Job des Schwimmrichters, der die Fehlstartleine runterlassen darf. Die zeigt den Schwimmern an, dass sie wegen Fehlstarts noch mal zurück zum Start dürfen. Leider merken das nicht alle, manche tauchen drunter her. Erste Versuche mit Fangnetzen als Alternative mussten abgebrochen werden, da Schleppnetzfischerei mittlerweile verboten ist. Die Idee, eine Wand im Wasser hochzufahren, erwies sich als nicht tragfähig, da die Schwimmer meistens mit voller Wucht dagegen donnerten.

Das Laufen auf dem Boden ist nicht erlaubt, das Laufen auf dem Wasser nur bei Freistil.

Tapes sind auch nicht erlaubt. Akupunktur ebenfalls nicht. Nikotinpflaster gelten einerseits als Tapes, andererseits als Doping, und sind auch nicht erlaubt.

Erstaunlich wichtig sind auch die Fachbegriffe. Es heißt nicht Delphinschwimmen, es heißt Schmetterling. Weil die Engländer Butterfly sagen. Sehr merkwürdige Schmetterlinge gibt es auf der Insel. Delphin war auch immer gefährlich. Zu viele Schwimmer landeten in Dosen. Jetzt werden sie stattdessen aufgespießt.

Es heißt auch – das ist ganz wichtig – Brustlage beim Brustschwimmen, nicht Bauchlage. Auf keinen Fall Steißlage. Dafür wäre der Gynäkologe zuständig. Im Wasser wird nicht entbunden, denn das wäre unsportliches Verhalten. Vor allem bei Wettkämpfen. Ansonsten sind Wassergeburten natürlich erlaubt, gerade bei Fluss- und Seepferden.

Ein bisschen Sorgen macht mir die Kleidung. Normalerweise zieht man ein weißes T-Shirt an und gut ist. Eine Hose wäre empfehlenswert. Laut Regeln muss man aber die Kleidung des Sponsors anziehen, wenn solche bereitgestellt wird. Das stelle ich mir etwas unschön vor, wenn der Sponsor im Bereich Unterwäsche tätig ist. Oder ein Mobilfunkunternehmen stellt für alle Kampfrichter Plüsch-Handy-Verkleidungen. McDonalds ginge, dann müsste jeder Kampfrichter einen Schwimmring um die Hüfte tragen. Ich kann sogar ohne McDonalds vertreten. Vielleicht gibt aber extremere Sponsoren, z.B. der Bund der deutscher Taliban, und ich muss mit Sprengstoffgürtel herumlaufen.

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