LARP 2012 – die ANDERE schreckliche Wahrheit (von Heinz Kreienbaum, dem ersten Danglarer, den ich kennenlernte)

Es war kalt, und Schneegriesel trieb in dünnen Schleiern über das Hochplateau. Gratan schüttelte sich und warf den Mantel enger um sich. Es war schweinekalt, um genau zu sein. Das Feuer war heruntergebrannt, aber der mitgebrachte Holzvorrat war eingeteilt, und mehr durfte er nicht auflegen. Schließlich mußte es noch für die nächste Nacht reichen. Mit so extremer Kälte hatte ja auch keiner rechnen können (wann hatte das letzte Mal Schnee gelegen?), und seit die Orgas aus rechtlichen Gründen nicht mehr für Holz sorgen durften… er schüttelte die Gedanken ab, weil er meinte, etwas gesehen zu haben.

Eine Gestalt stapfte durch den Schnee.

Gratan zwinkerte und wischte sich die Augen.

Eine Gestalt? Wer denn? Schnell überschlug er die Anwesenden. Horgs Schädelspalter konnte es nicht sein, der hatte sich für die Nacht eingegraben und kam nie vor zehn Uhr heraus. Bluta und die Dunkelelfen campierten in der verfallenen Holzhütte auf der anderen Seite des Geländes – keiner der drei würde bei dem Wetter soweit laufen (es waren immerhin 300 Meter, und dazwischen lagen die Autobahn und das Kinderkarussell). Und sonst… tja, sonst war ja niemand auf dem Con. Außer der SL. Aber die SL hatte ja eben noch auf dem Handy angerufen und gefragt, ob alles in Ordnung sei, sie würde jetzt schlafen gehen… eine Finte? Gratan hatte von solchen Tricks gehört, das In-time und Out-time hinterhältig getrennt wurden… aber von dieser SL hatte er das nicht erwartet.

Die Gestalt kam näher. Zuerst sah sie vermummt aus – ihr Kopf war ziemlich unförmig, aber sie trug keine Mütze. Seltsam, alle Larper trugen doch Fellmützen… schließlich konnte man nur noch im tiefsten Winter spielen, wenn die Zeltplätze ansonsten leer waren. Aber das da war keine Mütze… eine plötzliche Lücke in den Schneeschleiern zeigte, das sie eine Art… Maske trug. Gratan schluckte.

Ein Ork! Bei den Göttern, es war ein Ork!!! Vor lauter Überraschung fiel er rückwärts aus dem Campingstuhl, das dünne Drahtgeflecht verbog sich. Mit zitternden Händen öffnete er das Thermozelt und rüttelte die beiden anderen wach. Schläfrig blinzelte Lucinda ihn an. „Ungh… Was’n los…?“ Gratan suchte aufgeregt in seinem Gepäck. „Ein Ork! Draußen kommt ein Ork!“ Lucinda wurde hellwach.

„Ein Ork? Welcher denn? Gollack? Der ist doch gar nicht auf diesem Con…“

„Eben!“ unterbrach Gratan sie aufgeregt. „Ich glaube, es ist ein NSC…!“

Lucinda sah ihn äußerst zweifelnd, ja fast spöttisch an. „Hallo? Wieso sollte es hier NSC geben? Vielleicht sogar mehrere, oder was?“

„Lach Du nur! Ich bin jedenfalls nicht wehrlos, wenn es einen Angriff gibt… ich hatte doch irgendwo ein Latexschwert…?!? Ah!“ Triumphierend riß er das Schwert heraus und wischte hastig die Spinnweben weg. Es schien noch in Ordnung zu sein, obwohl es ziemlich alt war… noch aus der letzten Fertigung der Schatzkammer, bevor sie schließen mußten. „Und ich wußte schon gar nicht mehr, warum ich es mitschleppe…“ Mittlerweile war auch Issilaios aufgewacht und starrte erschreckt auf seine Armbanduhr. „Ein Angriff?? Heißt das, ich muß mir die Ohren ankleben??“

Gratan achtete gar nicht auf ihn und eilte mit dem Schwert wieder hinaus. Der Ork war mittlerweile bis auf wenige Meter heran. Er schleppte etwas seltsames bei sich, es sah aus wie eine Art Paddel, aber mit nachgemachten Klingen an der Seite… wahrscheinlich schon eine Waffe.

Zitternd erhob Gratan die Stimme. „He…. Heda! Sprich! Wer bist Du!“ Ein vollkommen unbekanntes Gefühl durchströmte ihn, eine Art… Spannung, ein Nervenkitzel. Er war völlig entzückt.

Der Ork blieb stehen und blickte sich um. Er hustete, seltsam dumpf durch die Maske. Dann schwang er mit einer kraftlosen Geste das Paddel hoch (Eine Axt! durchfuhr es Gratan. Seltsam, wie langvergessene Dinge plötzlich wieder auftauchten…) und stieß einen lauten Schrei aus. Nun, wahrscheinlich wollte er das, aber es kam nur ein heiseres, verzerrtes Keuchen durch die Maske, als der Ork auf Gratan zustürmte. Gratan war das allerdings egal – er geriet in dem Moment durchaus in Panik, und mit einem schrillen Kreischen ließ er das Latexschwert fallen. Er wich zurück, stolperte über eine Zeltschnur und fiel rückwärts in das Thermozelt, dem schmerzhaften Aufschrei nach auf Issilaios.

Der Ork hatte angehalten und betrachtete ratlos die Überreste des Lagers. Ein heilloses Durcheinander entstand, aus dem sich irgendwann drei schimpfende Spieler befreiten.

„…unglaublich, mitten in der Nacht…“

„…einfach so auftauchen, ohne Vorwarnung, wo leben wir denn…?“

„… tatsächlich angegriffen, mit einer Waffe! Mit einer WAFFE!…“

„…wahrscheinlich noch Plot im Gepäck, was…?!“

Zerzaust standen die drei schließlich vor dem ratlosen Ork-NSC und redeten wütend zu dritt auf ihn ein. Er warf schließlich empört die alte Latexaxt auf den Boden und riß die Maske herunter – schließlich hatte er nur auf Anweisung der SL gehandelt. Wütend verteidigte er sich… aber auch ohne Maske wurde er der drei SC nicht Herr. Irgendwann gab er es einfach auf und trollte sich in die schneedurchtriebene Nacht, drei schimpfende Spieler zurücklassend….

Der Plan der SL war trotzdem aufgegangen – zumindest teilweise. Mit der Wiederbelebung des lange vergessenen Konzepts „Plot-NSC-Konfrontation“ hatte sie die Spielerschar zumindest beeindruckt, und etliche Threads im Larpinfo-Forum drehten sich um Für und Wieder dieses Konzepts. Alle vier regelmäßigen Forumsteilnehmer (und auch der seltsame Österreicher, der nur alle vier Wochen mal einen Satz schrieb, und den auch meist nur halb, mit vielen Dreifachpunkten abgesetzt) waren sich einig, das so etwas vollkommen verantwortungslos war. Schnell wurde der Begriff „Storygamer“ oder auch „LCS“ (für „Leichtsinnige Con-Strukturierer“) geprägt. Einstimmig wurde gefordert, das Cons mit solchen Abnormitäten im LARP-Kalender gekennzeichnet würden – bei durchschnittlich sechs Cons im Jahr könne das ja wohl kein Problem sein.

Auch bei der Mittellande-Vollversammlung wurde das Thema zur Sprache gebracht. Die SL des bretonischen Weltreiches, das mittlerweile drei Viertel der Mittelland-Karte umfaßte, erklärte in einer flammenden Rede, das ihre Spielerschar so etwas niemals dulden würde, und das sie einem jeden den Krieg erklären würde, der so etwas vorhätte. Die bretonische Spielerschaft entschied sich mit sechs Ja-Stimmen und einer Enthaltung dafür, diesen Antrag zu unterstützen, und auch die sechs kleineren Spielergruppen stimmten dafür. Es war eine der harmonischsten Mittellande Sitzungen, die jemals im Hinterzimmer der Gaststätte „Zur Post“ in Wuppertal-Barmen abgehalten wurden.

Selten war sich die LARP-Szene so einig gewesen. War die arme SL auch mit ihrem Vorhaben, alte Traditionen wiederzubeleben, auch gescheitert – immerhin hatte sie eine gebeutelte Community wieder vereint. Die Zukunft strahlte in goldenen Farben.

Kleine Anmerkung: eigentlich war es ja nur eine Frage von Christoph „Chewie“ Schweers, wie LARP wohl in 10 Jahren aussehen würde … Ich war erster, aber Heinz seine Geschichte gefiel mir besser. Ausnahmsweise mal.

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