Jenseits des Seils (von Corinna Vanvlodorp)

Wenn ich die Augen schliesse, ist es, als wuerde ich auf einem Seil stehen, das ueber einem endlosen schwarzen Abgrund haengt. Wie ein Seiltaenzer. Und ich moechte kein Seiltaenzer sein.
Und wie ich so stehe und ins Nichts blicke, da wuensche ich mir, dass ich Fluegel haette, und sie benutzen koennte – fort fliegen von diesem schrecklichen Seil zu einer Erinnerung, die ich schon laengst vergessen habe.
Aber meine Fluegel habe ich zerbrochen schon viele Male. Und sie liegen in Scherben am Boden des Abgrunds. Und ich weiss, ich werde fallen. Mein Koerper wird zerbrechen, noch bevor er den Abgrund erreicht und meine Geist wird schwarz werden und starr, wie der Abgrund selbst.
Der Abgrund aber hat seine Male auf mir hinterlassen. Haessliche Zeichen,die das Licht fuerchten. Und ich weiss, ich werde fallen.

Dann kommst Du.
Wir kennen einander nicht, aber Du sagst, dass ich Fluegel haette und sie benutzen koennte, bietest mir an, mir zu zeigen, wie man fliegt.
Und ich fuerchte mich.
Und doch kann ich vom Fliegen nicht lassen.

Aber ich bin nicht wie Du, denke ich.
Meine Fuesse sind aus Stein und meine Fluegel liegen auf dem Boden des Abgrunds.
Auf dem Boden des Abgrunds – zerschlagen, zerbrochen, zerschellt. Und ich fuerchte mich.

Du aber laechelst und sagst, ich brauche keine Angst haben zu springen.
Hineinzuspringen in das Nichts, wo der Himmel war einst und meinen Namen kannte. Damals jenseits des Seils.
Jenseits des Seils, dort wo eben das Nichts war und jetzt Du bist. Bist und wartest.

Und ich fürchte mich.

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