Mylord de Elmsing war ein merkwürdiger Gesell. Das behauptete niemand in dem kleinen Dorf. Niemand mußte es behaupten, denn alle wußten es. Er lebte alleine in seinem alten Herrenhaus, sah man von dem Butler ab und auch von dessen Frau. Er besuchte nur selten das Dorf und kaufte nie selbst etwas ein. Einmal im Jahr, in wenigen Jahren auch zweimal, verreiste er. Der Besitz, den er von seinen Eltern geerbt hatte, grünte und blühte vor sich hin, ohne daß die weiten Felder für mehr als eine Schafherde genutzt wurden.
Wenn man fragte – und man konnte nur ein seltener Händler sein, oder ein Reisender, der von seinem Weg abgekommen war – wenn man also fragte, womit Mylord de Elmsing sein Geld verdiente, erntete man nur Kopfschütteln von den Einheimischen, und auf die Frage nach seinen Freunden erinnerten sich nur wenige, daß er als kleiner Junge mit den anderen Kindern in den verbotenen Hügeln herumgetobt hatte – „aber habt acht, dort hausen die Feen!“ Vielleicht hatte er sich Freunde gemacht in den Internaten und auf den Universitäten, schließlich war er fünfzehn oder gar mehr Jahre lang nur auf den edelsten und bekanntesten dieser Institute gewesen. Ein manches Jahr hatte er sogar im Ausland gelernt, man stelle sich das nur vor! Der Tod seiner Eltern hatte ihn zurückgetrieben in das Haus seiner Eltern. Und nun war er der Einsamste, aber auch der Gelehrteste weit und breit, doch bekam er nie Besuch, und nur selten Briefe.
Obwohl Mylord de Elmsing also ein wenig mysteriös war, konnte niemand über ihn etwas Böses berichten. Nicht einmal die alte Witwe Luegersch am Ende des Dorfes, und die wußte wahrlich über jeden etwas Schlimmes zu sagen, und mochte es die Königin sein oder ein anderer, den sie nie gesehen hatte.
Es war wirklich nichts, was man über ihn flüstern konnte: keine geheime Liebelei mit einer aus dem Dorf oder sogar von außerhalb. Keine geheimnisvollen Gestalten, die des Nachts zum Herrenhaus schlichen. Keine Furcht und Neugier erweckenden Lichter, die dort aufflackerten. Eigentlich war das, was man über ihn wußte, äußerst langweilig, doch deshalb wurde er von Jahr zu Jahr interessanter. „Jeder“, behauptete Witwe Luegersch immer wieder, „jeder hat ein geheimes Laster, und ich weiß von jedem Laster dieser Welt. Auch Mylord de Elmsing hat ein Laster, und eines Tages werde ich es herausfinden!“ Dabei hob sie den Zeigefinger, und verbreitete mit den Worte „Hast du schon gehört, daß…“ oder „…hat die Tage…“ den neuesten Klatsch über die Dorfbewohner. Niemand wurde von ihr verschont, und niemand sprach „mit der alten Vettel“, doch der Klatsch aus ihrem Munde breitete sich schnellstens im ganzen Dorf aus. Nur über Mylord de Elmsing, über diesen wußte sie nichts zu berichten.
Wenn sich Mylord de Elmsing jemals für das Dorf interessiert hatte, dann war das allerhöchstens in seiner frühesten Kindheit gewesen. Ihm war bewußt, daß es ein Dorf in seiner Nähe gab, und er wußte auch, daß er sich zu sehr von den Dorfbewohnern zurückhielt, doch er sprach nur ungern mit ihnen. Nicht, daß er die Leute nicht mochte, oder daß er sich ihnen überlegen fühlte. Er bevorzugte einfach ein gutes Buch aus der Feder eines hervorragenden Autors vor dem Klatsch über zweiköpfige Kälber in der Nachbargemeinde oder die Seitensprünge irgendeines Bauern. Wie konnte er sich mit jemandem über Indien unterhalten, wenn sein Gegenüber Indien für ein nahes Bauerndorf oder allenfalls über ein Region „da weit im Süden“ hielt.
So saß Mylord de Elmsing auch am Abend dieses Tages – der Herbst brach heran, und die Bauern kehrten gerade von den Feldern zurück – in seinem gemütlichen samtbezogenen Sessel, in seiner mit edelstem Holz verkleideten Bibliothek, an einem knisternden Kaminfeuer, und sein Überlegungen betrafen keinesfalls das Dorf, sondern vielmehr die Entscheidung, zu welchem Buch er nun greifen sollte.
Ihm war der Sinn am Ende dieses Tages ein wenig melancholisch, wie es an den Herbstabenden nicht selten der Fall ist, so daß er sich schließlich für ein Buch aus dem Regal gleich links dem Kamin entschied. Die Bücherrücken waren ein klein wenig verstaubt, so machte er sich in Gedanken eine kleine Notiz, am nächsten Tag dem Butler aufzutragen, diese Nachlässigkeit zu korrigieren. Dann erinnerte er sich, daß er noch zwei Wochen ohne seinen treuen Diener und vor allem ohne die Kochkünste der Butlersfrau auskommen mußte.
Gleichwohl nahm er einen dicken Wälzer aus dem Regal, eine durchaus edle Erstausgabe, leider jedoch von einem nicht ganz so berühmten Autor, obwohl dessen Schreibstil eigentlich mehr Beachtung hätte zukommen sollen. Mit diesem Werk in der Hand machte Mylord de Elmsing es sich wieder in dem Sessel bequem. Er vergaß nicht, seine Pfeife aus ihrem Ebenholzkasten zu nehmen, sie mit etwas Tabak von seinen eigenen Plantagen zu füllen, der langsam auch wieder zur Neige ging, und sie mit einem Streichholz anzuzünden. Eine Karaffe mit gutem Wein stand schon neben dem Sessel, ebenso ein Glas, und so begann er mit der Lektüre.
Es handelte sich um ein Thema, das ihn wirklich sehr interessierte – der Autor vertrat die These, daß jeder Mensch zu einem Verbrechen fähig war. Besonders bezog er sich auf die geistige Elite. Fast jeder, der aus dieser Schicht stammte, – so meinte er zumindest – überlegte sich ein perfektes Verbrechen, einfach aus dem Gedankenspiel heraus, ohne es je durchzuführen, einfach nur aus Spaß und Freude an der Herausforderung. Nur alte, vertrocknende Jungfern nahm er aus diesem Denkspiel heraus.
Tatsächlich hatte auch Mylord de Elmsing Interesse an dem Thema gefunden, und sich damit beschäftigt. Zunächst schien es ihm leicht zu sein; doch bei genauerem Überlegen gab es immer Unwägsamkeiten und mögliche Zufälle, die das perfekte Verbrechen aufklärbar machten oder es gar verhinderten..
Weiterhin knisterte das Feuer im Kamin, ab und zu sprang ein Funke auf den marmornen Fußboden, und er las zügig, doch jede einzelne Nuance des Buches vollends auskostend bis zur zwölften Seite, als ihn plötzlich ein Geräusch aufhorchen ließ.
Zunächst dachte er an die typischen Laute des Gebälks, typisch nun für alte Schlösser und Burgen, doch an diese war er schon von Kindesbeinen an gewöhnt. Etwas anderes, ungewöhnliches mußte sich ereignet haben.
Bevor er nachdenken konnte, woher dieses Geräusch gekommen war, und was es zu bedeuten hatte, fiel schon die große Eingangstür in ihr Schloß. Jemand besaß die Frechheit, in seinen Besitz einzudringen! Und er kündigte dieses auch laut und deutlich an. Von einem Einbrecher hatte man doch etwas mehr Raffinesse zu erwarten. Ein lautloses Eindringen und ein Gespür dafür, in welcher Stunde zuzuschlagen war, sollte derjenige dort unten doch besitzen. Er machte sich aber scheinbar keine Gedanken darüber, leise zu sein.
Mylord de Elmsing erhob sich aus seinem gemütlichen Sessel, legte Buch und Pfeife beiseite, und griff zu der Pistole, die über den Kamin hing. Sie stammte aus seiner kurzen Karriere als Meisterschütze; danach hatte er sich weitaus interessanteren Spielen wie Kricket und Polo zugewandt.
So gewaffnet schlich er zu der großen Treppe. Während er langsam hinunterschlich, kam ihm der Gedanke, auch der Fremde könnte bewaffnet sein. Das wiederum erklärte den Lärm. Der Einbrecher brauchte sich also keine Mühe zu geben. Das konnte einen de Elmsing jedoch nicht erschüttern. Den Mut eines Löwen hatten sich seine Vorfahren ins Familiencredo geschrieben. Außerdem brachte der Besitz einer Pistole keinen Vorteil für den Angreifer, wenn er ein schlechterer Schütze war als Mylord de Elmsing. Und die Wahrscheinlichkeit, einen Meisterschützen als Einbrecher zu haben, war doch etwas gering.
So scheute sich Mylord de Elmsing auch nicht, – kaum war er am Fuße der Treppe angekommen – dem Fremden schließlich zuzurufen, er solle sich und den Grund seines Eindringens zu erkennen geben. Doch der Einbrecher erstarrte nicht auf der Stelle, wie man es erwarten konnte. Sofort fuhr er herum, noch in der Bewegung seine Pistole ziehend und auf den Edelherren richtend. Nur ein guter und schneller Schütze konnte solche Gewandtheit besitzen.
Instinktiv und genauso blitzschnell reagierte Mylord de Elmsing. Er hob ebenfalls seine Waffe und zielte auf den Fremden, doch als er die Pistole in Position zu bringen versuchte, wurde ihm bewußt, der er seine Chance vergeben hatte, daß er die Waffe schon früher auf Anschlag hätte bringen müssen. Doch ebenso wurde ihm deutlich, daß es zu spät war, diesen Fehler zu korrigieren. Man darf niemanden unterschätzen!
Er erwartete schon den Aufprall der Kugel, seinen eigenen Tod. Dennoch versuchte auch er noch zu schießen, sollte der andere ihm mit folgen in den Tod. Seine Augen schlossen sich, nachdem sein Schuß abgegeben war, einer tief im Innern sitzenden Regung und Dummheit folgend – kein Meisterschütze würde vor, während oder nach dem Schuß auch nur blinzeln –, doch wollte er dem Tod wohl nicht in das Auge sehen, auch wenn der Mut des Löwen dieses eigentlich vorgesehen hätte.
Stille.
Mylord de Elmsing brauchte einige Sekunden, um zu bemerken, daß nur aus seiner Waffe ein Schuß abgegeben worden war. Warum? Ungläubig öffnete er die Augen wieder. Vor ihm, in der Mitte der Halle, lag der Fremde rücklings auf dem Boden, ein starker Blutstrom floß aus dem Loch in seiner Brust die Seite entlang auf den Marmor, begann jedoch schon, ein wenig schwächer zu werden.
Plötzlich befiel Mylord de Elmsing eine starke Erleichterung, nicht verwunderlich, war er doch gerade dem Tod vom Wagen gesprungen. Das Gefühl wich aber einer tiefen Beunruhigung und Verwunderung – warum hatte der Fremde, der dort mit weit aufgerissenen Augen auf dem Steinfußboden lag, warum hatte er nicht geschossen, obwohl er doch gute Gelegenheit bekommen hatte.
Langsam, nachdem er seinen Magen beruhigt hatte – noch nie war ein Mensch von ihm erschossen worden, und auch von der Jagd hielt Mylord de Elmsing nicht viel – kniete der Adelige neben dem Einbrecher nieder, doch konnte er nur dessen Tod feststellen, wie er es schon erwartet hatte. Kein Mensch konnte mit solch starkem Blutverlust weiterleben.
Untätig blieb er neben der Leiche sitzen, ein Mörder neben seinem Opfer. So fühlte er sich, obwohl er doch in Notwehr gehandelt hatte. Schließlich kam ihm der Gedanke, er könne sich erst einmal den Toten genauer anschauen. Vielleicht gab es irgendwelche Anhaltspunkte, warum dieser in sein Schloß eindringen wollte.
Er holte sich aus der Bibliothek die gußeiserne Laterne, die nächste mobile Lichtquelle, die er erreichen konnte.
Als er sich dann wieder zur Leiche begab, war er äußerst überrascht: der Tote trug Kleidung wie jemand, der gerade einen Spaziergang hinter sich gebracht hatte, recht gute Kleidung sogar. Tatsächlich besaß Mylord de Elmsing ähnliche Stücke, die jetzt in seinen Schränken hingen. So meinte er sich zu erinnern, jedoch machte er sich nicht viel aus Kleidung, Hauptsache, er war immer angemessen angezogen. Die Bekleidung des Toten war jedoch vollkommen verschmutzt und an einigen Stellen eingerissen. Dazu kam jetzt noch ein großer Blutfleck, der die Jacke endgültig unreinigbar machte. Aber wie kam ein einfacher Einbrecher an solch exquisite Bekleidung?
Auch die Waffe dieses Menschen ähnelte einer der seinen. Verwundert stellte er fest, daß es gerade die war, die er selbst genommen hatte. Beinahe abwesend schaute er nach den Patronen. Es war nur eine. Eine – ausreichend für ein Opfer. Der Fremde mußte ein exzellenter Schütze sein, viel besser als er selbst.
Doch dann durchfuhr ihn ein weitaus größerer Schrecken, der größte an diesem Abend, der größte in seinem bisherigen Leben, ein Schrecken, der ihm den Herzschlag bis zum Rasen trieb, ihn gar zittern machte: er sah das Gesicht des Fremden.
Es war kein abscheuliches Gesicht, wie man vermuten könnte. Eigentlich war es in keiner Weise besonders – schwarze, leicht gelockte Haare umrahmten es, ein dünner Schnurrbart zierte es über den ebenfalls dünnen Lippen, es zeigte noch keine Alterserscheinungen, keine Falte, nicht einmal Fältchen. Es war weder besonders schön noch außerordentlich häßlich. Das beunruhigte ihn nicht. Aber er kannte es. Oftmals hatte er es schon gesehen. Doch es war nicht das von einem ihm schlecht Gesonnenen (Feinde hatte er sich nie geschaffen); es war auch nicht das Gesicht einer seiner weniger Freunde (die er nur auf seinen wenigen Reisen sah); es war keiner aus diesen beiden Gruppen, sondern jemand, den er oftmals sah. Es war auch nicht sein Butler – schlicht und einfach: er sah sein eigenes Gesicht.
Minutenlang stand er vor dem Toten starrte auf ihn, unfähig, seine Gedanken zu ordnen. Minutenlang betrachtete er den nicht sehr großen, dennoch hageren Mann, der ihm so ähnlich, nein, so gleich sah.
Wer war der Fremde mit seinem Gesicht? Woher kam der Doppelgänger? Irgendein Autor hatte geschrieben, es würde für jeden Menschen der Welt irgendwo einen Doppelgänger geben, doch diese These hatte Mylord de Elmsing von jeher als Schwachsinn abgetan. Im Dorf erzählten sie auch viele Geschichten über Feen, die Gestalt und Aussehen von jedem anzunehmen vermochten, doch an Feengeschichten hatte er noch nie geglaubt. Schon gar nicht damals in seiner Kindheit, als er mit den anderen Burschen durch die Feenhügel getobt war, vor denen sich alle Erwachsenen gefürchtet hatten. Letztendlich hatten alle ihren Kindern verboten, dort hinzugehen, bis auf Mylord de Elmsings Vater, der eine ähnliche Einstellung zu Bauerngeschwätz besaß. Außerdem konnte man Doppelgänger aus dem Feenvolk den Legenden nach nur ganz kurz sehen, und zwar einen Tag vor dem eigenen Tod – und man konnte sie nicht einfach erschießen. Der Eindringling war ganz klar aus Fleisch und Blut. Eine Maske? Angewidert untersuchte der Adelige das schon blaß gewordene, langsam kälter werdende Gesicht der Leiche, doch wie nicht anders zu erwarten: das Gesicht war echt. Vielleicht doch ein Doppelgänger? Oder, was er eigentlich nicht zu denken gewillt war, ein Zwillingsbruder, den er nie zu Gesicht bekommen hatte.
Traurig dachte er an seine verblichenen Eltern. Hatten sie noch ein zweites Kind gehabt, gleichzeitig mit ihm auf die Welt gekommen? Eines, daß genauso aussah wie er? Es gab nicht wenige Geschichten von Adeligen, die den Zwillingsbruder ihres Erben verstoßen hatten, in fremde Hände gegeben oder gar an einem geheimen Ort eingesperrt. Notwendig war dieses, um Erbstreitigkeiten von vorneheraus zu vermeiden. Und nicht wenige so Verbannte waren – nachdem sie ihre wahre Identität herausfanden – gekommen, um sich an ihren Eltern zu rächen. Hatten seine Eltern, die er immer als gütig und vornehm, als gute Menschen gekannt hatte, einen schwarzen Fleck auf ihrer sonst so weißen Weste, ein Schuld, an der sie zu tragen gehabt hatten? Er verstand eine solche Entscheidung, doch warum hatten sie nie davon erzählt?
Es vergingen bestimmt zwei oder gar drei Stunden. Er stand neben der Leiche, die langsam kalt wurde, hing nur seinen Gedanken nach, dann schlich er bedrückt in sein Schlagzimmer, zu müde, um den Toten an einem anderen Ort zu bringen.
Die Nacht war kurz und unruhig. Immer wieder sah er seinen Doppelgänger, immer wieder erschoß er ihn, immer wieder fuhr mit einem Schrei aus dem Schlaf auf.
Als Mylord de Elmsing am nächsten Morgen bei einem schnellen, kargen Frühstück saß, überlegte er, was er mit dem Toten machen sollte. Gewiß, er müßte ihn eigentlich der Polizei melden. Doch das bedeutete viele Fragen, viel Getuschel und Tratsch – kurzum, viele kleine Aufregungen, die niemandem was nutzen würden, vor allem nicht ihm selbst. Und der andere war tot! Diesem würde eine Ermittlung auch nicht helfen. Vielleicht würde man sogar denken, er selbst sei der Doppelgänger, schließlich glich er dem Fremden – seinem Zwilling dem Aussehen nach – wie ein Ei dem anderen.
Schließlich traf er die Entscheidung. Er zog wetterfeste Arbeitskleidung an – denn draußen gingen immer wieder kurze Schauer hernieder – und dann schaufelte er keine hundert Schritte von seinem Haus an einer großen Eiche ein tiefes Grab, die letzte Ruhestätte für seinen Doppelgänger. Mehrere Stunden dauerte die Arbeit an, und noch mühsamer war es, den Toten in sein Grab zu bringen, doch zur Mittagszeit, eher sogar eine Stunde danach, hatte diese Plackerei ein Ende, nachdem das Grab wieder geschlossen war.
Danach begab er sich in die Halle, und nach zwei Stunden ebenso harter Arbeit war von dem Blut kaum etwas zu sehen.
Der Fremde verschwand also beinahe so schnell aus Mylord de Elmsings Leben, wie er gekommen war. Doch das galt nur für seinen Körper. Im Laufe des Nachmittags bemerkte der Adelige, daß man den Geist des Erschossenen nicht so schnell vertreiben konnte. Nicht, daß er wie in alten Schauergeschichten erschienen wäre – doch immer wieder spukte das Bild des Toten in der Halle im Kopf des Lords herum. Als er in seinem silbernen Besteck sein Spiegelbild sah, als er die Treppe nach oben entlangschrittt, als er die roten Tomaten sah, deren Farbe geronnenem Blut mehr ähnelte, als er je zuvor bemerkt hatte. In dem Bild seines verstorbenen Vaters fand er die Gesichtszüge des Fremden wieder, im Grün der Vorhänge des Salons die Farbe des Hemdes, das dieser getragen hatte – obwohl die Vorhänge weitaus heller und auf keinen Fall so schmutzig waren.
Warum hatte der Fremde nicht geschossen? Wer war er wirklich? Gab es einen anderen de Elmsing, einen verstoßenen? Immer wieder stellte er sich diese quälenden Fragen, immer wieder schwor er sich, nicht mehr in diese Richtung zu denken, immer wieder brach er diesen Schwur nur Sekunden später.
Er setzte sich, versuchte ein Buch zu lesen – doch er hatte keine Seite hinter sich gebracht, als wieder die Fragen zum Vorschein kamen. Der Versuch weiterzulesen scheiterte schon zwei Zeilen später. Er legte den kostbaren Band zur Seite und begab sich nach unten, um ein Mahl zu sich zu nehmen – obwohl dieses gar nicht nötig war, er gar keinen Hunger hatte. Beim ersten Bissen in das Sandwich erschien wieder das Bild des Toten vor seinen Augen. Er ließ den Rest liegen.
Nichts gab es, daß ihn von den schrecklichen Gedanken abhalten konnte. Er verfluchte den toten Einbrecher, weil dieser an den Erinnerungen schuld war, er machte sich klar, daß er nichts anderes hätte tun können, daß dieser selbst schuld gewesen war – doch nur noch stärker wurde die Bindung an das gräßliche Geschehnis. Es gab keine Hilfe gegen die Schuld, die sich in ihm breit gemacht hatte.
Früh ging er zu Bett, viel früher als je zuvor. Unruhig wälzte er sich hin und her, er machte die Augen zu und sofort wieder auf. Erst früh am Morgen konnte er den Schlaf finden, aus Erschöpfung, doch selbst im Traum quälte ihn der Tote. Mit seiner Stimme, mit der Stimme eines Lords sprach er von der Tat, klagte ihn des Mordes an, mit gequälten Augen fragte er, warum dieses getan worden war, warum der Brudermord geschehen mußte. Mittlerweile hatte der Lord die Überzeugung gewonnen, es müsse wirklich ein Zwillingsbruder sein, obwohl er sich das noch immer nicht selbst klar gemacht hatte. Tief im Inneren, und dieses wird im Schlafe ausgekehrt, wußte er die schreckliche Wahrheit.
Die Sonne blendete den Schlafenden, so daß er von seinen dunklen Träumen erlöst wurde. Er gönnte sich ein Frühstück, dessen Geschmack ihm nicht sehr behagte, dann kleidete er sich wanderbereit, und er verließ das Haus, um einen Spaziergang durch die Wälder zu unternehmen. Eine solche Wanderung hatte ihm häufig geholfen, wenn ihm Trübsal oder Kummer zu schaffen machten. Er nahm auch die unglückselige Pistole mit, die letzte noch verbliebene Erinnerung an den Vorfall. Er wollte sie in den Hügeln verschwinden lassen. Ein herber Verlust zwar, nicht nur der Wert, sondern auch die schönen Erinnerungen an vergangene Tage – doch die bösen Erinnerungen des Vorfalls wollte er damit loswerden. Sicher war er sich nicht: den Tod des Fremden würde er nie vergessen. Außerdem müßte er sich eine Ausrede für seinen Butler ausdenken, dem die Abwesenheit der Waffe auf jeden Fall auffallen würde.
Es war ein heißer Tag, so war er froh, daß er schon bald die Lichtung – in der das Herrenhaus und der große Garten lag – verlassen konnte, um den alten Wanderweg zu betreten. Warum dieser vor langer Zeit durch den Wald geschlagen wurde, wußte nun niemand mehr. Er führte nur zu den alten Hügeln im Westen des Dorfes, im Südwesen des Herrenhauses. Die Hügel lagen am Rande des großen Besitzes der de Elmsings.
Mylord de Elmsing liebte diesen Weg, der mitten durch die großen Bäume führte, die schon seit langen Zeiten dort wuchsen, sicherlich schon Urzeiten, bevor die de Elmsings das Land in Besitz nahmen. Hier schützten die hohen Wipfel der Buchen den Wanderer vor den heißen Strahlen der Sonne während der heißen Jahreszeit, und im Winter gaben die dicken Stämme der Bäume Wärme ab, um den Wanderer vor dem Frieren zu schützen.
Manchmal wirkten die Buchen beinahe lebendig, wenn der Wind durch sie hindurchstrich, wenn kleine Tiere, Eichhörnchen vielleicht oder zu ihrer Brut zurückkehrende Vögel, sie rascheln ließen, oder wenn ein Specht auf der Rinde trommelte. Dann jedoch, wenn der Winter wieder eingekehrt war, wirkten die Baumriesen nahezu wie tot, wenn die Blätter und die Vögel sie verlassen hatten, und die kleinen Tiere den langen Schlaf angetreten waren. Und eine eigenartige, Melancholie erweckende Stimmung befiel den Wanderer.
Eines jedoch galt in jeder Jahreszeit: der Wald strahlte Frieden aus, den Frieden, wenn die kleinen Tiere geschäftig, aber ohne die Hektik der Menschen durch den Wald huschten oder flogen, oder den Frieden, wenn nahezu vollkommene Ruhe eingekehrt war.
Mylord de Elmsing war immer ein Freund des Waldes gewesen, und er liebte die kleine Hügelkette, die er nun erreicht hatte. Hier konnte er sich wieder an seine glückliche Kindheit erinnern, als alles noch einfach gewesen war, als sie Freunde gewesen waren, er und die Kinder aus dem Dorf. Über die Hügel rannten sie damals, die zwei oder drei kleinen Höhlen hatte sie allesamt ausgekundschaftet, die Höhlen, die nie ein Erwachsener betreten hatte, denn sie waren meist hinter dichten Büschen versteckt, und schon damals hatten sich nur wenige aus dem Dorf ob der Feen hierhin getraut.
Auch jetzt wollte ihn die eigenartige Stimmung, die ihn immer in diesen Hügeln ergriff, in Besitz nehmen. Feenhügel wurden sie genannt, im Scherz von ihm und anderen, die hier früher gespielt hatten, doch in Furcht und Ernst von all den anderen Dörflern. Vor allem von denen, die schon die Blüte ihrer Jahre hinter sich gebracht hatten, der Jahre, in denen der Aberglaube noch zählte und nicht der Geist der Zivilisation.
Am heutigen Tage aber stieß die Wirkung dieser Stätte auf eine starke Barriere. Der Tote wollte nicht vergessen werden. Immer wieder tauchte er mitten in den angenehmen Erinnerungen auf. Hier an den Hügeln sogar noch häufiger als auf dem Weg durch den Welt. Die Leiche kämpfte gegen schöne Erinnerungen in den Landen seiner Gedanken. Plötzlich jedoch verlöschten beide miteinander kämpfenden Parteien.
„Eine Höhle?“ fragte sich Mylord de Elmsing erstaunt. „Hier?“
Es war schon merkwürdig. Der Adelige hatte viele schöne Stunden in diesen Hügeln erbracht, doch niemals hatte er an dieser Stelle den Eingang einer Höhle gesehen. Wurde er langsam vergeßlich? Oder war die Höhle lange Jahre hinter den Büschen versteckt gewesen, deren Überreste noch immer den dunklen Eingang umrandeten?
Der Geist des Erforschers erwachte in Mylord de Elmsing. Die Höhle schien von genügend Höhe und Breite auch für einen erwachsenen Menschen zu sein. Die quälenden Gedanken an den Toten, aber auch die Freude an der Jugend waren verschwunden, der Abenteuerdrang hatte sie in die hinterste Ecke seines Schädels verbannt. Der Lord suchte in seinen Taschen nach irgend etwas, das ihm Licht geben könnte, um einmal in die Höhle hineinschauen zu können.
Das einzige Nennenswerte war eine Schachtel mit Zündhölzern, gerade gut genug, um einen kurzen Blick in das Innere zu werfen. Zum Glück gab es kaum Wind, der die Flamme hätte ausblasen können. So begab er sich durch den von grünen Ranken umgegebenen Eingang in die Höhle, um dort eines der Hölzer anzuzünden.
Verwundert mußte er im schwachen Licht der kleinen Flamme feststellen, daß die Höhle tiefer in die Hügelkette hineinzuführen schien. Vorsichtig machte er ein paar Schritte, dann verlosch seine Lichtquelle. Er jedoch nahm einfach ein neues Holz, um noch ein wenig tiefer eindringen zu können; danach noch eines und wiederum eines, bis er schließlich fünf oder sechs davon verbraucht hatte. Dann plötzlich spürte er einen starken Schmerz an seinem Kopf, als hätte jemand einen Hurley–Schläger dagegen gehämmert. Es wurde dunkel.
Myriaden von funkelnden Sternchen umkreisten Mylord de Elmsings Kopf, der sich anfühlte, als würde er wegen eines zu großen Inhaltes kurz vor dem Platzen stehen. Verwundert bemerkte er, daß er auf einem sehr harten Boden lag. Schließlich fiel ihm ein, wo er sich befand.
Ob nun ein Stück aus der Decke gefallen war, oder er unvorsichtigerweise gegen diese gerannt war, daß war jetzt schwierig zu klären und auch vollkommen gleichgültig. Ihm wurde sofort bewußt, daß die verbliebenen Zündhölzer nicht nur Licht in diese Angelegenheit bringen würden, sondern vor allem, daß er ohne diese gar keine Orientierung und keine Chance hatte, die Höhle wieder zu verlassen.
Der Schrecken war groß, als er die Schachtel nicht in seiner Tasche fand. Richtig, er hatte sie in seiner Hand gehalten, als er die Besinnung verlor. Vorsichtig tastete er am Boden in seiner Umgebung. Doch die Hölzer lagen nicht in Reichweite.
Jetzt war guter Rat teuer. In welcher Richtung befand sich der Ausgang? Kein Tageslicht erhellte die Höhle auch nur ein wenig. Das erschien ihm seltsam: so weit war er vom Freien Himmel doch nicht entfernt? Der Weg in der Höhle war wahrlich nicht lang gewesen.
Welche Richtung sollte er nehmen? Wo ging es heraus, wo strebte der Gang weiter ins Innere der Höhle? Vorsichtig bewegte sich der Adelige, immer nach der Wand suchend. Schließlich fand er diese.
Ihm war kalt. Alles fühlte sich kalt an. Seine Hände, seine Arme, sein Gesicht. Außerdem so leicht und schwer zugleich. Wahrscheinlich hatte er Fieber. War er überhaupt hier? Oder war alles nur ein Fiebertraum? Am liebsten hätte er sich hingelegt, ein wenig geschlafen, um das Fieber zu vertreiben. Doch ihm war klar, daß das sein Tod sein würde. Er war wirklich hier draußen, er hatte sich wirklich den schmerzenden Kopf gestoßen, alles war harte Realität – er mußte sich den Weg hinaussuchen.
Vorsichtig tastete er in eine Richtung vor. Nur zwei oder drei Schritte machte er in jeder Minute, die verging. Schritte war eigentlich der falsche Ausdruck, denn er kroch. Damit wollte er vermeiden, mit einem falschen Schritt in ein Loch zu treten, sich den Knöchel zu verknacksen oder gar – mochte das Loch groß genug sein – hinunterzufallen. Wenn er falsch gewählt hatte, dann würde er immer tiefer in die Höhle eindringen. Wenn er auf dem richtigen Weg war, dann durfte er aber nicht umkehren. Er hätte gar nicht die Kraft und den Mut besessen, sich umzuentscheiden, denn gerade seine Furchtlosigkeit war gegangen, Furcht vor dem Tod hatte den Körper besessen gemacht. Niemand konnte ihm hier helfen, sein Leben hing allein von seinem eigenen Tun ab.
War er wirklich soweit vom Eingang entfernt? Nicht einmal der Strahl eines Sonnenlichtes. War es vielleicht schon Nacht? So lange könnte er unmöglich dort gelegen haben. Und wo blieb der Vollmond?
Endlos dauerte der Weg. Seine Knie schmerzten. Seine Kräfte erlahmten zusehends. Doch noch immer kein Licht, um ihn herum nur der Geruch fauler Erde. Er mochte nicht nach der Wand langen, fürchtete er doch, in etwas Ekelerregendes zu greifen.
So vergingen Ewigkeiten. Immer wieder einige Meter vorwärts, dann mußte er sich ein wenig ausruhen. War er so schwer angeschlagen? Ihn fieberte stark. Noch immer gab es dieses Verlangen, sich hinzulegen, und das Verlangen, umzudrehen, in die andere Richtung zu gehen. Doch er hätte kaum die halbe Strecke zurück geschafft, das wußte er. Ihm blieb nur der Weg nach vorne, doch die Hoffnung, dieser würde außen enden, wurde immer geringer.
Er ließ sich noch einmal nieder, flach auf dem Bauch, dann drehte er sich auf den Rücken. Alles schmerzte, wirklich alles. Die Knie, das ständige Kriechen nicht gewohnt; der Rücken, denn diese Haltung war vielen Säugetieren bestimmt, nicht jedoch dem Menschen; die Hände…
Da war ein Geräusch. Schnell, als wären seine Schmerzen hinweggeblasen und die Instinkte aufgeweckt, drehte Mylord de Elmsing sich wieder, sofort kam er wieder auf seine Viere.
Er lauschte angestrengt.
Ein Schnauben oder ein Keuchen – es hörte sich beinahe wie ein Hund an. Hatte man ihm Rettung geschickt? Sofort fiel ihm auf, daß niemand von seinem Schicksal auch nur ahnen konnte, die Dorfbewohner konnten seine Abwesenheit nicht bemerken, sein Butler konnte noch nicht zurück sein. Außerdem klang das Schnauben bösartig.
Was kam da langsam, beinahe siegessicher auf ihn zu? Der verwilderte Hund eines Bauern vielleicht, möglicherweise von Tollwut gepackt, jedes Lebewesen angreifend? Vielleicht sogar ein Wolf, von denen man jedoch seit anderthalb Jahrzehnten nichts mehr gesehen hatte. Nur eines war klar: was auch immer auf ihn zuhielt, es schien ihn für wehrlose Beute zu halten. Das wollte er auf keinen Fall sein.
Plötzlich war das Keuchen ganz nahe. Hatte er sich so verschätzt? Instinktiv rollte er zur Seite. Etwas großes, behaartes streifte ihn. Er meinte beinahe eine scharfe Kralle zu spüren, doch im nächsten Augenblick, als er sich dem Tier wieder zuwand, wußte er, das dieses auf Einbildung beruhen mußte. Er hatte keine Schmerzen, nicht einmal die, die ihn schon die ganze Zeit gequält hatten; vielleicht aber waren sie ihm nur nicht mehr bewußt.
Da kam auch schon der zweite Angriff. Das Schnappen eines viel zu großen Kiefers ertönte dicht, viel zu dicht an seinem Kopf, den er aber geistesgegenwärtig zurückzog. Er faßte an seine Tasche, um die Waffe zu ziehen. Warum er es dennoch schaffte, rechtzeitig seine Linke vor dem scharfen Gebiß des wilden Tieren zu schützen, wußte er nicht, überlegte er auch nicht. Sein einziges Ziel war seine Waffe. Er hob sie hoch, zielte dorthin, wo er das Wesen vermutete. Die Chance, es zu töten, war nur gering, zu ungewiß das Ziel, das bei jedem Angriff seine Lage zu ändern schien; vielleicht würde die Kugel gar von einem felsigen Stück der Wand abprallen und ihn selber treffen. Ein Schuß ertönte, ein zweiter, wild schoß der Adelige auf seinen Feind, fünf– oder gar sechs Mal vielleicht. Doch er hörte nur das donnernde Peitschen der sich aus der Pistole windenden Kugeln. Dann auch noch, wie die Kugeln von der Wand mehrmals abgelenkt wurden. Kein Aufheulen des Tieres, kein wütendes Gebell ob eines Treffers. Als ihn Ohnmacht übermannte aufgrund seiner schwindenden Kräfte und der Erschöpfung, da wußte Mylord de Elmsing, daß er verloren war.
Er kam wieder zu sich. Vorsichtig erhob er sich. Wie lange hatte er wieder gelegen? Die Schmerzen waren beinahe verschwunden. Er erinnerte sich kaum noch daran, je welche gehabt zu haben, bis auf ein geringes Dröhnen in seinem Kopf. Die Luft war warm, etwas wärmer als zuvor. Er öffnete seine Augen. Da war ein kleiner Streifen Sonnenlicht, nicht weit von ihm drang dieser in die Höhle ein. Noch immer war er im Dunkeln, doch schnell kroch er vorwärts, denn aufrichten traute er sich doch nicht vor Angst, nochmals sich den Kopf zu stoßen. Als er endlich das Licht erreichte, erhob er sich vorsichtig und hielt auf den Ausgang zu. Kurze Zeit später stand er wieder im Freien.
Überglücklich vor Freude begrüßte er die frische Natur um sich herum, den Duft der Wälder, den nassen Geruch der Gräser. Es mußte geregnet haben. Doch – ihm war es vorgekommen, als seien Ewigkeiten vergangen, in Wirklichkeit hatte er wohl nur einige Stunden in der Höhle gelegen. Die tiefe Nachmittagssonne strahlte im Westen – er müßte sich beeilen, noch vor der Dunkelheit nach Hause zu gelangen.
Alles war nur ein Traum gewesen. Kein Wunder, hätte er doch den Kadaver des Tieres finden müssen bei seinem erneuten Aufwachen – das ja eigentlich das erste war. Auch die Länge der Höhle: unmöglich konnte sie so lang sein, wie es ihm im Traum vorgekommen war. In so einem kleinen Hügel war kein Platz für eine große Höhle. Eigentlich hätte er zornig sein müssen auf sich selbst nach so einem tölpelhaften Abenteuer. Er hatte sich wie ein Kind benommen in Angesicht einer dunklen Öffnung in einem Berg. Doch er war nur glücklich darüber, heil wieder hinausgelangt zu sein. Über all dieses hinaus hatte er sogar den Toten vergessen – wobei ihm selbst natürlich das nicht bewußt war.
Tatsächlich war die Sonne schon untergegangen, als er seine Haustür krachend ins Schloß zurückfallen ließ. Einfach herrlich, wieder in den eigenen vier Wänden zu sein. Er atmete den Duft des Gemäuers ein, beinahe ein kleines Lied pfeifend – er hätte gepfiffen, wenn er dieses vermocht hätte, doch Pfeifen gehörte nicht zu seinen vorzüglichen Fähigkeiten.
Wäre der Höhlentraum wahr gewesen, hätte er dieses Herrenhaus nie wieder gesehen. In freudiger Erinnerung ging er langsam auf die Küchentür zu.
Doch da rief ihm eine Stimme vom Fuße der großen Treppe zu, er solle sich erklären. Was hätte er hier zu suchen? Bevor er überlegen konnte, hatte Mylord de Elmsing die Waffe in der Hand, er drehte sich herum, zielte auf den Fremden, der ebenfalls eine Pistole erhob.
Irgend etwas erinnerte ihn. Irgend etwas ließ ihn nicht feuern. Seine Position, der Ruf, die Stimme; das ferne Knistern eines Kamins, der schwarze Schnurrbart, das gepflegte Gesicht, der Geruch feiner Zigarren – er erstarrte mitten in der Schußbewegung. Ein Schuß löste sich. Ein Kugel durchbohrte ihn. Er starb.
Als seine Seele sich erhob, wußte er, daß er sich selbst ermordet hatte. Das perfekte Verbrechen war ihm gelungen. Den Täter würde man nie finden.