Merkwürdig

Als die Band mit einem langsamen Titel von Elvis begann, atmete ich tief durch und drängelte mich in die erste Reihe. Es war eine sternenklare Nacht. Ein wenig kühl, doch als ich ihn sah, wurde mir heiß. Er spielte Bass und sang dazu. Und er war der schönste junge Mann auf der ganzen Welt. Um mich herum himmelten viele junge Mädchen ihn an. Ein paar von Ihnen wurden ohnmächtig. Das passierte regelmäßig, bei jedem Konzert.

So fiel ich allen nicht auf. Der Großteil der umstehenden oder umfallenden kreischenden Teenies war damit beschäftigt, auf ihn zu achten, nur auf ihn. Niemand wusste, dass ich einen anderen Grund hatte als sie. Außer ihm. Irgendwann, vielleicht zur Mitte des Konzertes, erblickte er mich. Glücklicherweise sang er gerade nicht, und im Gekreische und dem Lärm ging vollkommen unter, dass er vor Schreck drei oder vier Takte lang vollkommen falsch spielte. Dann nickte er mir unauffällig zu – direkt neben mir ging wieder eine dumme Vierzehn- oder Fünfzehnjährige zu Boden. Ich verließ die Halle und wartete. Dennoch war er bei mir: auf dem großen Plakat, dass die Gruppe “John und die Panischen Brieftauben” ankündigte.

Nach dem Konzert begab ich mich in den Backstagebereich. Die Wachen ließen mich passieren. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich jetzt einen 100fachen Tod durch hass- und neiderfüllte Teenager gestorben, denen der Zutritt verwehrt wurde. Hätte John – wie er sich ja nannte – gekonnt, hätte er heute den Grundstein für eine Vielzahl an Vaterschaftsklagen legen können.

Man brachte mich zu ihm. Um ihn herum lagen die meisten schon im von Alkohol und Drogen verursachten Abwesenheitsstadium. “Hallo” sagte ich nur kurz. Er führte mich zu einer Tür, öffnete sie und geleitete mich hindurch.

Wir standen in einer Art Höhle. “Hier können wir reden” sagte er. “Es gibt 4000 Löcher in Blackburn Lancashire. Obwohl viele sehr klein sind, haben sie sie alle gezählt. Sie wissen sogar, wie viel Löcher in die Albert Hall passen. Dieses ist nur eines davon.”

Ich entgegnete: “Hast Du es schon gehört?” Er blickte mich an. “Er hat sich verabschiedet. Einfach sein Gehirn rausgeschossen. An einer Kreuzung. Eine Menge Leute schaute in den Wagen, weil er nicht reagierte, als die Ampel grün zeigte. Die meisten wussten nicht, woher sie sein Gesicht gesehen hatten.”

“Dann hat es begonnen? Ich muss das überprüfen.”

Eine Zeit verging, während er weg war. Mir war langweilig. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was ich alles machte. Vielleicht zählte ich die Löcher. Ich redete mit mir, verstand mich aber nicht. Dann wachte ich auf. An meinem Bett saß eine alte Frau. Meine Mutter. “Ganz ruhig, du hast geträumt” sprach sie mit tiefer Stimme. Neben ihr lag ein Buch. Es war zugeklappt. Alice im Wunderland. Alles nur ein Traum. “Wie gefallen dir die Pillen?” Irgendetwas war merkwürdig. Diese Stimme… Ich schlug die Augen auf. Er war zurück.

“Du hast recht. Die Engel stehen vor den Toren. Die Posaunen sind bereit. Ich sah auch einen Walfisch und einen Petunientopf. Das ist nicht gut.”

“Es wird noch schlimmer kommen” entgegnete ich ihm. “Wenn wir es nicht verhindern.” Ich wusste, dass es schon jemand versucht hatte. Er fiel in ein weißes Loch. Danach fehlte seine Farbe. Und er wollte nicht zurückkehren.

“Wenn wir es aber nicht verhindern, wird sich das Tier aus dem Meer erheben.”
“Und dann?” fragte er, doch es war eine rhetorische Frage, auf die ich gerne antwortete.
“Die Apokalypse. Die Vernichtung der Welt. Ohne Erdbeerkuchen.”
“Aber das ist unwahrscheinlich. Und unpraktisch. Wo soll ich denn meine Zigaretten herkriegen? Es gibt Dutzende Planeten wie die Erde. Aber Zigaretten gibt es nirgendwo.”

Er überlegte.

“Musst Du eigentlich das tragen?” unterbrach ich ihn.
Er zog den Reißverschluss auf und rutschte aus seinem menschlichen Körper heraus. “Er war mir eh zu eng.” Da stand er. In menschlichen Maßstäben viel zu klein und viel zu rot.

“Du musst ihn suchen gehen. Elvis ist der einzige der jetzt noch die Welt retten kann.”
“Er will nicht mehr zurückkehren. Doch ich werde ihn suchen gehen” sprach es. Es machte die Tür auf. Draußen war eine lange Straße. Es seufzte. Ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen, ging es die regennasse Straße entlang, und ich spürte, dass es die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Ich danke den Beatles, Johannes, Douglas Adams und Fleetwood Mac für ihre Mitarbeit.

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