Die Seele eines Bären

Es war eines Tages, als ich gerade beim Aufräumen war. Selbst ich komme ein oder zweimal im Jahr dazu. Nun war es aber kein normales Aufräumen. Einerseits war es Heiligabend – eigentlich sogar noch Heiligmorgen -, und andererseits wagte ich mich sogar auf den Speicher. Und dort fand ich ihn. Im Schrank. Ganz unten, unter alten Bettbezügen.
Meinen Teddy.

Ich hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen, bestimmt schon 10 Jahre nicht. Und das ist eine lange Zeit, selbst für Teddys. Obwohl die ja so lange schlafen können, wie sie wollen.

Mein Teddy sah da ganz zerzaust aus, und er hatte auch ein oder zwei Löcher. Da kam dann schon das Sägemehl entgegen. Und das ist nicht schön für einen Teddy.

Da fragte ich meine Freundin, ob sie denn die Löcher zumachen könnte. Sie kann nämlich nähen, müßt ihr wissen. Falls ihr später mal einen Freund oder eine Freundin habt, dann fragt sie auch mal, ob sie nähen können. Das ist nämlich sehr wichtig, wenn ihr es nicht selber könnt. Und fragt sie gleich, ob sie für euch mal was nähen würden. Manche sind da nämlich eigen, und die tun das dann nicht.

Und als wir da in der Küche saßen, weil es in der Küche nämlich schön warm war, da kam mir ein Gedanke. „Hat mein Teddy eigentlich eine Seele?“ Es war ein schöner Gedanke. Eine Seele ist nämlich eine tolle Sache. Achtet darauf, daß ihr auch immer eine habt! So eine Seele kann man nämlich auch verlieren, wenn man zu viele böse Taten macht.

Eigentlich dachte ich ja, daß mein Teddy eine haben müßte, denn immer wenn mir früher bange war, da war mein Teddy an meiner Seite und in meinem Arm, und dann war mir nicht mehr so bange. Manchmal war mir sogar gar nicht mehr bange. So toll ist das mit den Teddys!

Aber sicher war ich mir nicht. Deswegen fragte ich meine Freundin, ob mein Teddy eine Seele hätte. Aber die sagte, daß sie es nicht wüßte. Sie wüßte nur, wie man die Löcher wieder vernäht, und damit sei sie jetzt auch fertig. Da bedankte ich mich artig und nett, dann auch bei Freundinnen sollte man sich immer nett bedanken, wenn sie etwas für einen tun, sonst sind sie irgendwann nicht mehr Freundinnen. Und dann nähen sie auch keine Löcher mehr zu, die dein Teddy hat.

Und dann sagte ich, daß ich noch was wichtiges zu erledigen hätte, aber ich wäre bald wieder da. Ich müßte einen finden, der mir sagen könnte, ob mein Teddy eine Seele hat.

Sie sagte, daß wäre eine gute Idee, gerade heute, denn sie wollte noch das Wohnzimmer saubermachen, damit wir nachher den Weihnachtsbaum hineinstellen könnten. Weihnachtsbäume lieben Wohnzimmer, die sauber sind, woanders fühlen sie sich nicht wohl, außer in einem sauberen Wald natürlich.

Dann verließ ich das Haus.

Als ich die Straße entlangging – ich wußte ja nicht, wo ich überhaupt jemanden finden könnte, der mir weiterhelfen konnte -; als ich also die Straße entlangging, da kam mir ein General entgegen. Er hatte natürlich eine prunkvolle Uniform an und ging ganz kerzengerade. So ist das nämlich mit Generälen.

Den General fragte ich dann, weil er ja der erste war, dem ich begegnete. „Hat mein Teddy eine Seele, Herr General?“ fragte ich ihn ganz freundlich, und dabei stand ich kerzengerade in Habachtstellung, mit dem Teddy im linken Arm. Generäle mögen das, habe ich mir sagen lassen.

Der General sagte – vielmehr brüllte er, Generäle müssen das wohl tun: „Das interessiert mich nicht, ob sie oder dieser dumme Bär eine Seele haben. Kämpfen müssen, Kämpfen für ihr Land. Kommen sie zur Armee, und dienen sie ihrem Land. Wir müssen unser Land verteidigen. Also vergessen sie diesen dummen Bären.“ Da hob ich meine Mütze, verabschiedete mich höflich, und ging. Ich hörte den General noch murmeln – er murmelte laut, denn Generäle sind niemals leise – : „Dummes Zivilistenpack. Keine Ahnung davon, in welcher Gefahr sie sind.“

Dann vergaß ich ihn. Den General, nicht den Teddy.

Als nächstes traf ich eine Frau, die hatte zwei Hunde bei sich. Sie war eine Tierfreundin und eine Tierschützerin. Weil: die Tiere können sich nicht davor schützen, was wir ihnen alles antun. Und die fragte ich, ob meine Teddy eine Seele hat. Sie sah kurz meinen Teddy an und blickte auf ihre Hunde. „Wissen Sie“, sagte sie, „das ist gut, daß sie zu mir kommen. Ich beschäftige mich schon lange mit dem Thema. Und ich bin auch zu einer Folge gekommen. Wir Menschen, wir haben doch verdorbene Seelen. Gucken sie doch mal, was wir den Tieren antun.
Die Tiere hingegen haben eine unschuldige und reine Seele. Und deswegen müssen wir sie schützen.“ Ich war durchaus beeindruckt, daß sie darüber nachdachte, doch mein Teddy wußte noch immer nicht, ob er jetzt seelenvoll oder seelenlos war. Deswegen fragte ich sie, ob mein Teddy auch eine unschuldige und reine Seele hätte.
Sie sagte: „Nun, ihr Teddy ist ja nicht wirklich. Gucken Sie mal, er lebt ja noch nicht einmal. Er ist ja nicht viel mehr als ein bißchen Stoff und ein bißchen Füllung. Wozu braucht der den eine Seele? Tun sie doch etwas für sich selbst, und spenden sie dem Tierschutzverein.“

Als ich meinen Teddy ansah, da glaubte ich, daß er traurig war. Er guckte nämlich so. Und das ist ja auch traurig, wenn man nur aus Stoff und ein bißchen Füllung besteht. Ich streichelte ihm über den Kopf und sagte „Ganz ruhig.“ Und dann ging ich weiter und ließ die Frau einfach stehen. Und für den Tierschutzverein, da spende ich erst morgen, weil ich der Frau das Geld nicht geben wollte, basta.

Da ging ich also weiter und kam ich an eine Kirche. Und wie es normal ist in einer Kirche, so war auch in dieser ein Priester. Es war sogar ein Bischof, wie ich sah. Bischöfe sind noch prunkvoller gekleidet als normale Priester, kann ich euch sagen. Ich fragte ihn: „Euer Hochwürden, ich habe eine Frage …“ Weiter kam ich nicht, denn er antwortete: „Mein Sohn, ich bin da, dir Beistand zu leisten in allen Fragen deines Lebens, von der Geburt bis zum Tod.“ Da war ich natürlich erfreut, und fragte ihn. „Hat mein Teddy eine Seele, Euer Hochwürden?“ fragte ich ihn.

Er blickte mich entgeistert an, also gar nicht so, wie Hochwürden normalerweise schauen, und sprach: „Mein Sohn, natürlich hat dein Teddy keine Seele. Er ist ja noch nicht einmal lebendig. Und selbst lebendig sein hilft nicht, man muß glauben können. Und das kann nur der Mensch, mein Sohn.“ „Aber Hochwürden“, wandte ich ein, „dieser Teddy hat mich, als ich klein war, vor allem Unbill beschützt. Und er war immer lieb zu mir. Er hat nie etwas Böses getan. Wieso darf er da keine Seele haben? „Nun“, sprach der Bischof, „er ist halt kein Mensch. Und es ist klar und eindeutig, daß nur ein Mensch eine Seele haben kann. Denn das steht so geschrieben.“ Da versuchte ich es ein drittes Mal: „Aber steht denn geschrieben, daß ein Teddy keine Seele haben kann?“ Da wurde der Bischof langsam wütend. Er raunzte mich an: „Natürlich nicht, denn Teddys sind viel zu unwichtig, deswegen steht über sie nichts geschrieben!“

Da blickte mich mein Teddy ganz traurig an, so traurig, wie halt einer guckt, über den nichts geschrieben steht. Und weil er so traurig guckte, verließ ich den Bischof, und dann versprach ich meinem Teddy, ihm eine schöne Geschichte zu schreiben, jawohl! Das tat ich aber erst später, ich wollte ja vorher noch herausfinden, ob ich über einen Teddy mit oder ohne Seele schreibe.

Ich ging also weiter, meinen Teddy fest im Arm. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, ohne Seele zu leben.

Dann traf ich ein kleines Kind. Da fragte ich das Kind: „Hallo Kind. glaubst Du, das mein Teddy eine Seele hat?“ Doch das Kind sagte gar nichts. Es schaute nur mit großen Augen auf meinen Teddy, als ob es noch nie so einen Teddy gesehen hätte. „He“, fragte ich weiter, „hast Du mir nicht zugehört?“ Doch das Kind starrte nur weiter auf meinen Teddy, so, als ob ich gar nicht anwesend wäre. Da fragte ich ein drittes Mal: „He, gefällt dir mein Teddy?“

Das Kind nickte.

Da gab ich meinem Teddy einen Abschiedskuß, und schenkte ihn dem Kind.

Nun weiß ich noch immer nicht, ob mein Teddy eine Seele hat. Aber ob ihr es glaubt oder nicht, jetzt sind wir alle drei glücklich, das Kind, der Teddy, und ich. Frohe Weihnachten!

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