Der Weihnachtsbrief

Ich bin ja begeisterter Weihnachtsbriefschreiber. Ich versuche das jedes Jahr. Und die von mir handschriftlich angeschriebenen sind auch immer ganz begeistert. Die haben noch monatelang was davon. Noch im April rufen mich Freunde an und behaupten, sie hätten ein weiteres Wort entziffern können: entweder hieße es Atomkraftwerk oder Brötchen.
Ich habe halt mal während meines Studiums den hieroglyphischen Eid abgelegt. Zum Arzt hat es dann nicht ganz gereicht, zum Doktor auch nicht – damals gab es Google ja noch nicht.
Auch andere Leute schreiben gerne Briefe. Ich finde sogar ganz viele Briefe von Leuten, die ich nie gekannt habe. Oder nie kennen wollte. Da schreibt zum Beispiel die Ernst Mrosch-Stiftung für durch Volksmusik Gehirngeschädigte, ich könne meine wohltätige Ader bei ihnen ausleben. Das gleiche möchte die Sterbekasse der Desiree Nick-Stiftung für totgelaberte Ehemänner. Auch der Bund der mildtätigen Orthopäden wirbt mit Michelle Hunziker auf der ersten Seite für den Fond hackengeschädigter Stilettoträger.
Mich wundert nur, was das Ganze mit Weihnachten zu tun hat. Wohltuend herausheben muss ich da eine Stiftung, die sich um die Hinterbliebenden der durch Betrunkene Fahrer nach Betriebsfeiern überfahrenden Weihnachtsmänner kümmert.
Auch frage ich mich, ob unbedingt schon Weihnachten im August anfangen muss. „In dieser vorweihnachtlichen Stimmung“ begann einer der Werbebriefe, der mich erreichte, als draußen noch 20 Grad waren. Wahrscheinlich geschrieben von jemandem, den der Spekulatius aus dem ALDI high gemacht hat. Weihnachten beginnt jedes Jahr früher. Man muss aufpassen, nicht die Weihnachtsfreude zu früh zu verlieren. Weihnachten interruptus ist weit verbreitet. Da hilft kein Viagra, unter 4 Glühwein gibt es da nix.
Den Glühwein gibt es ab November auf Weihnachtsmärkten oder der Firmen-Weihnachtsfeier. Da mittlerweile jeder eine originelle Weihnachtsfeier machen muss – der liebe Herr Gesangsverein, der Kindergarten, die Nachmittagsgruppe, das Babyturnen – fangen wir direkt nach den Herbstferien mit dem Weihnachtsfeiermarathon an. Teilweise bei 20 Grad Celsius. Da weiß man endlich, wie Brasilianer sich an Weihnachten fühlen.
Und immer sind die Eltern gefordert, was mitzubringen. Dumm ist, wenn man mehrere Kinder hat.
Ich kam letztes Jahr auf 13 mal Plätzchen und 11 mal Kuchen.
Ich habe immerhin dafür gesorgt, dass nächstes Mal ein Termin weniger stattfindet.
Frau Müller vom Gesangsverein sprach mich drauf an, dass es sich nicht schicken würde, einfach gekaufte Torte mitzugeben. Sie war nicht erbaut darüber, die Torte ins Gesicht zu kriegen. Aber es war befreiend.
Eine der grundlegenden Fragen zu Weihnachten ist: Gibt es den Weihnachtsmann? Man weiß es ja nicht. Oder um Jesus zu zitieren: Nageln sie mich da nicht fest…
Die Hälfte meiner Kinder glaubt dran, die andere Hälfte nicht. Und zwar variierend: im Kindergarten war der echte Weihnachtsmann. In der Schule ein falscher, der Vater war bekannt. Im Sportverein war wieder der echte, aber ein anderer echter als im Kindergarten, in der Musikschule ein falscher.  Im Sportverein begann es mit den Worten – und 3 Stunden Verspätung – des gebuchten Super-Weihnachtsmanns (mit Breakdance und Clownerie): „Von drauss vom Walde kam ich her, mein Navi streikte sehr“. Seitdem haben meine Kinder Angst, dass ihre Geschenke an Heiligabend nicht ankommen. Mein Sohn schrieb dem Weihnachtsmann, er solle gefälligst die GoogleMaps-App benutzen.
In der Firma hatten wir Saint Niclas und seine original Stripengel. Da blieb kein Auge trocken.
Und privat? Ein Jubiläum. Zum fünften Mal kommt die Schwiegermutter zu Weihnachten. Dieses Mal wollen wir sie dann auch reinlassen.

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